"Donald Duc"

Ducati Multistrada 1200 S: Des Teufels Transformer

Motor
29.07.2010 18:41
Eine Enduro für den Spaß im Gelände, ein fehlerverzeihendes Gerät für den sicheren Heimweg quer durch die Stadt nach einem langen Arbeitstag, ein Tourer für die große Reise – und dazu noch ein Spaßsportler für den Fall, dass einen der Hafer sticht: Das sind eigentlich vier Motorräder. Im Fall der Ducati Multistrada 1200 T ist es eins. Genauer gesagt vier in einem.
(Bild: kmm)

Teuflisch rot-schwarz hat sie sich im Testfuhrpark eingefunden, mit einem Sound, bei dem es dir das Fell aufstellt. Ja, sie klingt räudig, ein bisschen böse. Dabei versucht sie dir in jedem Moment das Leben leicht zu machen und sich dir anzupassen. Damit verführt sie dich, sie nicht mehr loszulassen, denn wenn du sie mal an den Hörnern (also am ideal geformten Lenker) gepackt hast, brauchst du keine andere mehr. Jedenfalls will sie dir genau das einflüstern.

Italienischer Transformer
Vier verschiedene Setups sollen die Multistrada zum Transformer machen, der sich jeder Lebenslage und jeder Bodenbeschaffenheit anpasst. Das High-Tech-Herz greift ein in die Motorsteuerung, das Fahrwerk, das ABS und die Traktionskontrolle, und das teilweise in Stufen regulierbar. In Sekundenschnelle kann man sich sogar während der Fahrt per Knopfdruck durch die vier Grund-Settings Sport, Touring, Urban und Enduro durchklicken. Dazu muss nur der Gasgriff zugedreht sein. Mit etwas Geduld lassen sich diese Modi zusätzlich einzeln konfigurieren.

Basis für den Spaß ist der 1198 cm³ große Testastretta-V2-Motor mit desmodromischer Ventilsteuerung, der aus dem Superbike 1198 hineinadaptiert wurde und hier maximal 150 PS leistet sowie 118 Nm liefert. Dazu ein elektronisch voll einstellbares Öhlins-Fahrwerk, ABS und Traktionskontrolle.

Die vier Settings der Multistrada
Der Sport-Modus ist naturgemäß der heftigste von allen: Die volle Leistung von 150 PS wird per Ride by Wire prompt und direkt abgerufen, die Traktionskontrolle schaut sehr lange zu und das Fahrwerk wird richtig hart. Alles ist auf Perfomance eingerichtet, so kann es auch auf die Rennstrecke gehen. Trotz aller Härte bleibt die Multistrada in schnellen Kurven aber unruhig und schenkt einem die saubere Linie nicht freiwillig. Da ist der Fahrer durchaus gefordert.

In der Touring-Einstellung wird die Leistung etwas sanfter verabreicht, aber in voller 150-PS-Konzentration. Das Fahrwerk wird komfortabler, die Traktionskontrolle tut, was sie kann. So kann man leicht weite Strecken fahren, hat jederzeit das gute Gefühl maximaler Power, die aber nicht in jeder Sekunde stresst.

Für Urban wird die Leistung auf 100 PS reduziert. Ideal für gemütliches, aber nicht kraftloses Fahren in der Stadt oder bei Nässe. Das Fahrwerk ist komfortabel und schluckt auch Kopfsteinpflaster und Kanaldeckel, die Elektronik hält das Hinterrad im Zaum. Die Sitzhöhe erreicht mit 85 cm ihr niedrigstes Niveau. Im Staugeschlängel kann die Multistrada ihre Wendigkeit ideal ausspielen.

Das Umschalten auf Enduro genießt man am besten im Stand, dann merkt man am besten, wie die Ducati wächst, weil sich die Bodenfreiheit um 2 cm erhöht. Die Traktionskontrolle lässt jetzt richtig Schlupf zu, das ABS lässt sich wahlweise abschalten. Die Duc ist gut zu balancieren und macht auch im Gelände Spaß, wobei die Bodenfreiheit ihre Grenzen hat. Werden die erreicht, freut man sich über den Motorschutz.

Zusätzlich zu den vier konfigurierbaren Modi lässt sich die Ducati übrigens auch auf das Gewicht, das sie tragen soll, einstellen, je nachdem ob Sozia und/oder Gepäck zu befördern sind.

High Tech vom Start weg
Die Transformer-Eigenschaften der Multistrada 1200 T sind nicht das einzige, was die Maschine zum High-Tech-Bike macht: Sie startet, ohne dass man den Schlüssel ins Schloss stecken muss. Der bleibt in der Hosentasche, während der rechte Daumen den Kill-Schalter zweimal nach oben schiebt, um dadurch den Startknopf freizugeben. Dann blinkt das Mäusekino am Display mit bunten Lichtern, als Zeichen für ihre Bereitschaft, den Knopfdruck zu empfangen. Das Abstellen funktioniert ähnlich, das Lenkradschloss wird elektronisch gesperrt.

Eigentlich eine praktische Errungenschaft. Allerdings hat mich die Italienerin einmal kräftig im Stich gelassen und war weder mit guten noch bösen Worten zum Starten zu bewegen. Erst das Entfernen der schwarzen Plastikkappe am Tank hat einen verborgenen zweiten Startknopf ans Licht gebracht. Damit war die streikende Elektronik dann irgendwie zu überlisten.

„Donald Duc“ unterwegs
Die Sitzposition passt und ist komfortabel, grundsätzlich auch für größere Fahrer. Die Scheibe ist manuell höhenverstellbar, bietet aber nur relativ klein gewachsenen Fahrern guten Windschutz. Bei mir mit 1,88 m Körpergröße lärmt der Helm in einer lästigen Verwirbelungszone, bei hohem Tempo bricht akustisches Inferno los.

Was absolut misslungen ist, ist die Gegend um die Füße - die Fersen haben durch den hinteren Rahmen keinen Platz. Noch dazu ist der Hauptständer so positioniert, dass er den linken Fuß des Fahrers behindert. Man hat also vor allem links keine Chance, mit dem Fußballen auf den Rasten zu stehen, sondern ist gezwungen, im Duck Style wie eine watschelnde Ente auf der Ducati zu sitzen. „Donald Duc“-Style sozusagen. Andererseits: Vielleicht ist sie für den Teufel persönlich gebaut – der wird mit seinen Hufen kein Problem auf den Fußrasten haben.

Gefühlsechte Bedienung
Die Fußbremse ist schwer zu erreichen, weil etwas versteckt angebracht und auch noch spät ansprechend. Ansonsten sind die Bremsen aber erstklassig, standfest und gut zu dosieren. Auch die Kupplung ist wunderbar gefühlsecht. Was für das etwas hakelige Getriebe weniger gilt, zwischendurch geht gerne mal der Kraftschluss verloren, wenn sich die Zahnräder beim Schalten nicht finden.

Zur Lichtgestalt machen die Ducati Multistrada 1200 ihre Doppelscheinwerfer. Ich habe selten so ein strahlendes Scheinwerferlicht gesehen (abgesehen von Xenon-Leuchten), die Duc macht die Nacht zum Tage. Leider nimmt sie dem Fahrer auch wieder ein bisschen von dieser guten Nachtsicht, weil sich das hell erleuchtete Display in der Scheibe spiegelt und blendet.

Infos für alle Lebenslagen
Das Display lässt den Fahrer über nichts, aber auch gar nichts im Unklaren, es sei denn er verliert auf dem etwas verspielten Board den Überblick: Reichweite, Momentanverbrauch, Durchschnittsverbrauch, Durchschnittsgeschwindigkeit, Außentemperatur, Motortemperatur, von Ganganzeige und Tankuhr ganz zu schweigen. Vieles erscheint auf Knopfdruck in dem runden Extrafenster, das prinzipiell das gewählte Setup anzeigt.

Fazit:
Die Ducati Multistrada 1200 T ist ein höllisches, sehr wendiges, agiles Eisen, das richtig Spaß machen kann, einen Haufen Stückln spielt und selber etwas verspielt ist. Mit 192 Kilo trocken ist sie ein Leichtgewicht unter den Reiseenduros, und die stärkste ihrer Gattung noch dazu. An Details sollten ihre Väter in Italien noch feilen. Wie es dazu kommen kann, dass die Fußraste nicht frei nutzbar ist, will sich mir nicht erschließen.

Knapp 20.000 Euro kostet das Gerät: In der Version „1200 S“ sind einige Karbonteile verbaut, an der „1200 T“ serienmäßig Koffer montiert, für die es gegen Aufpreis gewölbte Deckel gibt, die das Koffervolumen von 57 auf 77 Liter erhöhen. „T“ steht übrigens für „Touring“ – nicht für „Transformer“…

Stephan Schätzl

Warum?

  • Sehr leicht.
  • Sehr stark.
  • Sehr flexibel.
  • Und das Flair einer echten Ducati.

Warum nicht?

  • Fuß-Position mit Hauptständer indiskutabel.
  • Leichte Unruhe in schnellen Kurven.
  • Am Testmotorrad unzuverlässige Elektronik.

Oder vielleicht …

  • … eine BMW R 1200 GS? Hat auch ein elektronisches Fahrwerk, ist aber deutlich schwächer und schwerer.
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(Bild: kmm)



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