Topolino

Fiat 500: Die Italo-Ikone wird 60

Motor
06.07.2017 14:55

Als Minimalauto konzipiert, als Topolino unerreicht populär, als Kultauto reanimiert und zum Nationalsymbol stilisiert, im Retrolook in den zweiten Frühling gefahren: Der 1957 vorgestellte Fiat 500 hat in seiner Karriere Großes geschafft und gilt als Inbegriff des italienischen Volkswagens - der er aber nie war.

(Bild: kmm)

Er war eine piccola macchina, wie sie nur der in Italien bis heute verehrte Fiat-Konstrukteur Dante Giacosa auf die Räder stellen konnte. Gerade einmal 2,97 Meter lang, wirkte der am 4. Juli 1957 präsentierte Fiat 500 Nuova perfekt proportioniert für die engen Gassen italienischer Innenstädte. Vor allem aber gab er sich mit seinen rundlichen Formen niedlich wie ein Mäuschen, das durch zwei große runde Hauptscheinwerfer neugierig die Welt erkundet. Klar, dass der Volksmund diese Zweizylinder-Knutschkugel irgendwann Topolino nannte, zumal schon der Vorgänger-Cinquecento (500) von 1936 diesen Kosenamen trug. Während aber dieses Vorkriegs-Volksauto von Fiat mit innovativer Technik alle Herzen und Straßen im Sturm eroberte, verlief der Start des ersten Heckmotor-Fiat im Jahr 1957 schleppend.

Die Rolle des Nachkriegs-Volkswagens besetzte nämlich bereits der etwas größere Fiat 600. Zum König unter den Kleinsten der Kleinen avancierte der Fiat 500 erst in Lifestyleversionen, die sogar Staatslenker wie Winston Churchill oder Milliardäre wie Aristoteles Onassis nutzten. Wie kein anderes Großserienfahrzeug wurde der bis 1975 in 3,7 Millionen Einheiten gebaute Cinquecento nun weltweiter Botschafter für sein Mutterland. Unvergänglich schöne Formen, Familiensinn, kompakte Abmessungen und kleine Preise, aber auch "dolce vita", das süße Leben mit Sonnengarantie: All dies verkörperte das Mäuschen durch vier Sitze, großes Rolldach und Sonderserien wie Mickey und Minnie (Mouse) von Vignale.

Ein echtes Weltauto wie der konzeptionell vergleichbare und auf mehreren Kontinenten gebaute Fiat 600 wurde der Cinquecento trotzdem nicht, denn dazu war er zu winzig. Tatsächlich sollte das unter dem Code Projekt 110 entwickelte Kleinstmobil anfangs nicht mehr sein als ein Motorroller mit Dach und vier Sitzen, also den in Europa populären Kabinenrollern entsprechen. Wie Fiat-Chefkonstrukteur Dante Giacosa in seinen Memoiren schreibt, schickte ihm Fiat Deutschland dazu Konstruktionszeichnungen für einen Kleinstwagen mit Fronttür im Stil der BMW Isetta und 1954 einen Prototyp, dessen Produktion für Auslastung im Werk Weinsberg sorgen sollte. Auch wenn der spätere Fiat 500 dem Design des Prototypen nicht ganz unähnlich wirkte, legte Giacosa Wert darauf, ein vollwertiges Auto mit konventionellen Türen anzubieten. So entschied er sich auch gegen die damals verbreiteten 250-ccm-Einzylinder, sondern wählte einen robusten, luftgekühlten 0,5-Liter-Zweizylinder, der vollgasfest war und den 470 Kilogramm leichten Kleinen auf Tempo 85 brachte.

Vielleicht lag es an der diffamierenden Enthüllungskampagne italienischer Kommunisten, die kurz vor dem Debüt des Fiat 500 in der Presse Zeichnungen eines für alle bezahlbaren Kleinstwagens veröffentlichten, den Fiat angeblich nicht bauen wollte. Jedenfalls fiel die Premierenfeier für den damals weltweit kleinsten vollwertigen Viersitzer mit konventionellen Seitentüren ungewöhnlich pompös aus. Die ganze Nation nahm damals via Fernsehen an der Geburt der automobilen Maus teil, die am Fließband begann. Von diesem "Kreißsaal" fuhr eine fast endlos lange Parade fröhlich-frecher Fiat 500 durch das festlich geschmückte Turin, wo Hundertausende dem familientauglichen Viersitzer mit riesigem Rolldach frenetisch zujubelten.

Amerika hatte das pragmatische Ford T-Modell und Deutschland den rundlichen VW Käfer - nur in Italien gab es gleich zwei Volkswagen von einer Marke. Den Vierzylinder-Kleinwagen Fiat 600 und den kaum günstigeren Zweizylinder-Knirps Fiat 500. Was tun, um die enttäuschenden Verkaufszahlen des Nuova Cinquecento zu beflügeln? Aus der "povera macchina", einem armseligen Auto - anfangs sogar ohne seitliche Kurbelfenster - formte Fiat einen klassenlosen Lifestylestar, mit dem sich alle Italiener gerne zeigten. Zuerst gab es eigenständige Derivate des Cinquecento, die bei der Fiat-Tochter Autobianchi in Serie gingen. Den Auftakt bildete 1957 die Bianchina Transformidabile als Coupé mit Rolldach, es folgten Cabriolet, Limousine Bianchina und zwei Kombis. Letztere basierten auf dem erfolgreichen Fiat 500 Giardiniera mit Unterflurmotor, der die vom Topolino begründete Tradition kleiner Familienkombis weiterführte.

Den kleinen Leistungshunger befriedigten ab Herbst 1957 der Fiat 500 Normale mit 15 PS und ein Jahr später der 500 Sport mit 21,5 PS für 110 km/h. Eine weiße Lackierung mit roten Seitenstreifen kündete optisch von dieser Kraftkur - und vom ersten Motorsporterfolg beim 12-Stunden-Rennen auf dem Hockenheimring. Dort belegte der 500 Sport auf Anhieb die ersten vier Plätze seiner Klasse.

Steyr Puch und Abarth mit mehr Leistung
Im Jahr 1960 wurden dann in der Basis, dem Fiat 500 D, 18 PS Standard. Genug für Tempo 100 nach 90 Sekunden Anlauf und den Durchbruch in Deutschland, denn hier avancierte das Mäuschen zum besten Freund von Hausfrauen und Fahranfängern, wie die Presse schrieb. Eine deutliche Veränderung erfuhr das Karosseriekonzept vier Jahre später: Mit dem Fiat 500 F verabschiedete sich der Cinquecento von den inzwischen politisch geächteten sogenannten "Selbstmörder"-Türen, die bequemen Zugang in den Fond gewährten. Karossiers wie Ghia, Giannini, Lombardi, Moretti, Vignale, Viotti, Zagato, Erina, Fervès und Weinsberg verblüfften das Publikum derweil mit immer neuen Designideen und zogen auch die Schönen und Reichen in den Fanclub des Mäuschens. So gab es die Cinquecento als schnelle Coupés, extravagante Cabriolets, offene Strandwagen, elegante Limousinen und Limousette sowie mit weiteren Antriebskonzepten wie Frontmotor und Frontantrieb (Moretti 500), Batterien (Giannini Elettrica) oder Allradantrieb (Fervès 500 mit zuschaltbarem Vorderradantrieb) - und den Hochleistungsmotoren von Steyr-Puch und Carlo Abarth. Die österreichische Marke Steyr-Puch ersetzte den serienmäßigen Reihen-Zweizylinder durch einen Zweizylinder-Boxer mit 0,65 Liter, später 0,66 Liter Hubraum und 20 PS bis 40 PS Leistung.

Als Steyr-Puch 650 TR brachte es der Kraftzwerg sogar zu Klassensiegen bei der Rallye Monte Carlo. Ähnlich viel Leistung boten die Rekordwagen und Straßenüberflieger des Carlo Abarth, die als Fiat-Abarth 595 SS und 695 SS bis zu 32 PS und 38 PS freisetzten - genug für eine Vmax von 140 km/h.

Fast dreißig Jahre wurde der Nuova Fiat 500 produziert, dann versuchten mehrere Nachfolger wie der bereits 1972 eingeführte Fiat 126 und der 1991 lancierte kantige Cinquecento das Erbe des Kultmobils anzutreten - erfolglos. Allein der tierisch niedliche Fiat Nuova 500 überlebte alle staatlichen Abwrackaktionen, erhielt Sonderfahrrechte in Umweltzonen und diesem automobilen Denkmal schlägt überall uneingeschränkte Sympathie entgegen. Umso erstaunlicher, dass Fiat die italienische Lebensfreude des 57er-Cinqecento auf den 2007 enthüllten Cinquecento im Retrostil transferieren konnte. Bleibt abzuwarten, ob dieser äußerlich groß gewordene Kleine eines Tages auch den Kultstatus des Originals erben wird.

(SPX)

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