Kompressoraufgeladen

Kawasaki Ninja H2: Des Wahnsinns fette Beute

Motor
21.07.2015 15:18
Eine Lackierung, die Schwarzes-Loch-Chrom-Black heißen müsste, eine Beschleunigung, mit der sie gefühlt Raum und Zeit beugt, eine Optik, die nur aus Flügeln und Luftführungen zu bestehen scheint - die Kawasaki Ninja H2 ist der Bike gewordene Feuchttraum jedes Geschwindigkeits-Junkies. Sachlich betrachtet: das einzige straßenzugelassene Serienmotorrad mit Kompressoraufladung. Und das will erst mal "derfahren" werden.
(Bild: kmm)

Eines vorweg: Für die entspannte Feierabendrunde gibt es Angenehmeres, auch dann, wenn man es nicht gemütlich angehen lassen will. Auf dem Papier schaut das alles noch ganz normal aus: 200 PS bei 11.000/min, mit Ram Air 210 PS, dazu 133,5 Nm bei 10.500/min. als maximales Drehmoment.

Und dann gibst du das erste Mal vorsichtig Gas, die H2 macht einen Satz und hört nicht mehr auf zu beschleunigen. Unfassbar, wie viel Druck von jeder Stelle des Drehzahlbandes ausgeht! Der Herzschlag kommt aus dem Takt, die Augen weiten sich und die Haare unterm Helm versuchen sich aufzustellen. An den Zahlen ist das nur unvollständig abzulesen: Rund 3 Sekunden von 0 auf 100, 7 Sekunden auf 200, maximal sind wie üblich 299 km/h drin.

Länge läuft - die kürzeste Verbindung ist die Gerade
Damit man sich gut lang machen und schön mit ihr verschmelzen kann, lassen sich ihre Hinterbacken seitlich am Sitz um 15 Zentimeter verschieben; dass für eine Sozia kein Platz ist, erwähne ich nur der Vollständigkeit halber. Lang ist die Kawasaki selber auch. Radstand (1,455 mm) und Nachlauf (103 mm) übertreffen die Werte üblicher Supersportler deutlich. "Länge läuft", heißt es - genau darum geht es: Stabilität. Kurven gelten ja gemeinhin als überbewertet, oder nicht? Jedenfalls sind sie nicht das Metier der H2. Kehren schon gar nicht. Zuerst quälst du dich mit ihr ums Eck (mit einem Wendekreis wie ein Kreuzfahrtschiff), dann reißt es dich wegen der extrem harten Gasannahme bzw. treibt dich weiter an den Straßenrand, als dir lieb ist.

Anschließend beamt es dich zur nächsten Kehre, vor der du die Standfestigkeit der Bremsen und die Feinfühligkeit des ABS für sehr vertrauenerweckend empfindest, checkst im Augenwinkel kurz ab, ob sich nicht vielleicht ein Wurmloch auftut, das dich zur nächsten Gerade befördert, und wuchtest deinen 238 kg schweren Sternenkreuzer wieder ums Eck. Damit ist schon klar: Die klassischen Motorradstrecken sind nichts für die H2. Und umgekehrt. Ninjas sind bekanntlich sehr wendige Krieger, insofern ist die Modellbezeichnung hier ein wenig irreführend.

Die H2 braucht Auslauf. Das geht auf einer speedorientierten Rennstrecke mit weiten Kurvenradien, obwohl einem da die Supersportler in den Kurven um die Ohren fahren, oder aber auf der Autobahn - erlaubterweise nur auf einer deutschen. Sehr beruhigend ist die Traktonskontrolle, die auf Stufe 3 praktisch im Dauereinsatz ist. Auf Stufe 1 muss man schon sehr genau wissen, was man macht. Zu den Fahrmodi gehört auch ein Regenmodus, der bis 8.000/min. total zumacht, aber die Gasannahme nicht versanftet.

Aber ich habe doch gerade erst getankt?
Noch etwas sollte man eigentlich immer im Auge haben: die Tankanzeige. Oh! Die H2 hat ja gar keine! Hm, blöd, denn ihr 17-Liter-Tank ist in Null Komma nix leer. Um mit 7,5 l/100 km auszukommen, muss man sie praktisch tragen, in Wahrheit muss man mit über 10 Litern rechnen. Sogar im Schiebebetrieb beim Bergabrollen stehen als Momentanverbrauch 3,5 l/100 km am Display. Und wenn man bemerkt, dass das Reservelamperl leuchtet, weiß man nicht, wie lange man es schon übersehen hat, denn der Kilometerzähler zählt die auf Reserve gefahrenen Kilometer nicht eigens mit. So bleibt also nur, Gasgriff zu und hoffen, dass man es langsam zur nächsten Tankstelle schafft.

Technisches Meisterwerk
Die Kawasaki Ninja H2 ist komplett neu konstruiert und ist das Aushängeschild für den gesamten Konzern. Deshalb trägt das "ultimitative Motorrad", wie es der Hersteller nennt, auch nicht das auf Kawasaki-Motorrädern übliche Logo, sondern das River-Logo von Kawasaki Heavy Industries. Genau gesagt ist sie ein Nebenprodukt aus der Entwicklung der H2R, die 326 PS leistet und nicht für die Straße zugelassen ist.

Der 998-ccm-Reihenvierzylinder basiert auf dem der ZX-10R, bekam zwei Ausgleichswellen, wurde verstärkt und vor allem mit einem Kompressor versehen. Dafür haben sie alle zusammengearbeitet: die Gasturbinen- und Luftfahrtsparten sowie der Technologieabteilung im Konzern. Der Lader braucht keinen Ladeluftkühler, wird durch die Kurbelwelle über einen Planetensatz angetrieben und dreht 9,2-mal so schnell wie diese. Macht bei Höchstdrehzahl des Motors (ca. 14.000/min.) fast 130.000/min.

Ergebnis ist neben abartiger Performance auch ein höchst faszinierender Sound (auf der Testmaschine war ein Akrapovic-Topf montiert), der sich aus dem Motorgeräusch und dem des Kompressors zusammensetzt.

Auch das Getriebe ist nicht einfach eines von der Stange, sondern ein sogenanntes Dog-Ring-Getriebe, wie es in der MotoGP oder auch der Formel 1 verwendet wird. Kleiner technischer Ausflug: Im Gegensatz zu Standardgetrieben für Motorräder, bei denen Schaltgabeln die Gangräder zum Eingriff verschieben, bleiben beim "Dog-Ring"-Getriebe die Losräder auf der Welle stationär. Zum Kraftschluss zwischen Welle und Gangrädern bewegen sich nur die Mitnehmerscheiben (Dog-Rings), die mit den Klauen am jeweiligen Gangrad in Eingriff gehen. Da diese Mitnehmerscheiben deutlich leichter als Gangräder sind, ist der Schaltaufwand geringer. Gleichzeitig resultiert eine bessere Rückmeldung am Schalthebel und Gangwechsel sind wesentlich kürzer.

Unterm Strich
Warum baut Kawasaki so was? Weil sie können. Und weil sie damit für Aufsehen und -regung sorgen, als hätten sie das perpetuum mobile erfunden (in Wahrheit ist die H2, wie bereits erörtert, das exakte Gegenteil). Wo man mit der H2 hinkommt, wird man per Smartphone fotografiert oder gefilmt. Würde Marty McFly mit dem DeLorean in echt aus der Vergangenheit aufkreuzen, wäre das Aufsehen kaum größer. Dafür sind 31.000 Euro ein Schnäppchen. So etwas Brachiales und Einzigartiges ist um dieses Geld sonst nicht zu bekommen. Immerhin 19 Stück sollen dieses Jahr in Österreich verkauft werden - an Fahrer, die wahrscheinlich von etwas noch Stärkeren träumen: Die 326 PS starke Schwester ohne Straßenzulassung ist in Österreich- zumindest in diesem Jahr - einmalig.

Warum?

  • Weil sie brachial stark und einzigartig ist

Warum nicht?

  • Kein Motorrad für zwischendurch

Oder vielleicht …

… gleich die H2R?

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(Bild: kmm)



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