Che carozza vuoi?

Lancia Delta: Pappa ante Opernhaus

Motor
12.07.2009 19:52
Warum der Lancia Delta „Delta“ heißt, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar. Es wäre das Gleiche, wenn Volkswagen nach der Übernahme von Porsche plötzlich einen Passat mit der Bezeichnung „911“ anbieten würde. Schließlich machte der Ur-Delta als Karacho-Version „Integrale“ Furore. Der Delta von heute ist ein ganz anderes Kaliber: Er ist einer für die komfortable Reise und das Halteverbot vor der Mailänder Scala.
(Bild: kmm)

Das Design ist sehr italienisch, mutig und aller Ehren wert, die Ausstrahlung so edel, dass man unbedarfterdings von außen betrachtet ein viel teureres Auto erwarten würde. Dabei liegt der Delta preislich nur knapp über dem Golf, dessen Konkurrent Fiat Bravo die Bodengruppe liefert. Mit 4,50 m Länge spielt er aber eine Klasse drüber. Eigentlich löste er die Mittelklasse-Limousine Lybra ab, die seit 2006 nicht mehr verkauft wird. Die war natürlich nicht annähernd so eine Style-Ikone, wie sie diese dritte Generation des Delta ist. Das schwarz abgesetzte, leicht abfallende und in einem Spoiler auslaufende Dach nennt sich „Flying Bridge“ und wirkt tatsächlich ein bisschen so, als bräuchte es keine C-Säule (warum, ja, warum sieht der Fahrer dann beim Blick nach hinten seitlich kaum etwas anderes als C-Säulen?).

Edelambiente mit Abstrichen
Auch im Innenraum bemüht sich Lancia um edle Anmutung. So fallen die farblich weiß abgesetzten Ziernähte der Ledersitze auf, die sich in den Türverkleidungen wiederfinden. Nicht auffallend, aber vorhanden ist ein schallschluckender Dachhimmel. Im Detail halten die Italiener das allerdings nicht durch. Der Schalthebel (für den mein Arm etwas zu kurz ist) ist ein unansehnlicher Plastikklotz, der sich unangenehm angreift, vor allem die scharfkantige Rückwärtsgangsperre. Bei der Anordnung der Bedienelemente hatten offenbar die Designer das Sagen; ergonomisch gesehen sind die Knopferl ziemlich beliebig angeordnet. Die Instrumente sind verspielt gestaltet, der Tacho leider nicht ideal abzulesen.

Richtig viel Platz
Platz ist ausgesprochen viel vorhanden. Die Rücksitzbank ist verschiebbar, was wahlweise dem Kofferraum (465 Liter Volumen) oder den Passagieren (380 Liter) zugutekommt. Mit (nicht ganz easy) umgelegten Rücklehnen lassen sich 760 Liter über die dicke, hohe Ladekante wuchten. Detail am Rande: Für Verbandskasten und Warndreieck hat sich offenbar kein Platz gefunden, die kugeln einfach so im Kofferraum herum.

Es sitzt sich luftig, leider mangelt es an sinnvollen Ablagen. Aus den Getränkehaltern fällt alles heraus, und ich finde nicht einmal einen Platz für meine Sonnenbrille. Leider hat das Handschuhfach die gleichen Höhlenqualitäten wie im Fiat Bravo, ist als vom Fahrersitz aus unerreichbar. Zur Höhle kommt übrigens ein Wasserfall, wenn man NACH einem Regen die Seitenscheiben öffnet.

Mehr Schein als Sein bei den Sitzen
Die Sitze schauen wahnsinnig bequem aus – sind es aber nicht: Die Sitzfläche ist zwar relativ lang, fällt aber nach vorne ab, sodass die Auflagefläche für die Oberschenkel extrem kurz ist. Dazu kommt die seltsam nach hinten gewölbte Lehne, die den oberen Rücken völlig auf sich allein gestellt lässt. Insgesamt geben die Sitze so viel Halt wie ein Papagallo.

Dabei wäre Seitenhalt durchaus wünschenswert. Der Zweiliter-Multijet-Diesel ist durchaus kein Kind von Traurigkeit, die 165 PS und 360 Nm (max. Drehmoment schon ab 1.750/min.) kommen mit dem 1,5-Tonner gut zurecht. Kraft gibt’s schon unter 1.500 Touren. Der Standardsprint gelingt in 8,5 Sekunden, das Maximaltempo liegt bei 214 km/h. Der Normverbrauch von 5,3 l/100 km ist ein illusionärer Wunschtraum, der Bordcomputer zeigte über 7 Liter, was sich beim Nachrechnen als um einen halben Liter untertrieben herausstellte. Das Getriebe ist aber zu lang übersetzt, das Anfahren dadurch etwas mühsam und speziell der Sprung zwischen 2. und 3. Gang zu groß.

Designstar für die sanfte Reise
Das zeigt schon, dass der Delta fürs Reisen, nicht für die Hatz gemacht ist. Dementsprechend ist das Fahrwerk weich und komfortabel – wenn auch nicht souverän - abgestimmt, die Seitenneigung ist deutlich. Die leichtgängige Lenkung vermittelt wenig Gefühl für die Straße, dafür sind Antriebseinflüsse zu spüren. Und die Traktion könnte besser sein, beim Beschleunigen wird der Lancia vorne sehr leicht. Wer aber reist statt rast, den werden diese Eigenschaften, die sportlich ambitionierte Fahrer abschrecken, nicht stören, im Gegenteil. Bei langen Autobahnfahrten fällt auch der mangelnde Seitenhalt der Sitze kaum auf (wohl aber die kurze Sitzfläche). Ein bisschen leiser dürfte er sein.

Alle Unvollkommenheit, die ich hier beschrieben habe, wird bei italienischen Autos gerne unter „Charakter“ subsummiert. Wenn dann – wie hier – auch noch solch ein Design dazukommt, nimmt man noch mehr in Kauf. Gut über 30.000 Euro für den Testwagen 2.0 Multijet E5 Oro mit ein paar Extras ist nicht wenig, aber Autos, die gut vor große Opernhäuser passen, sind sonst teurer.

Stephan Schätzl

Warum?

  • Er ist ein echter Design-Star.

Warum nicht?

  • Schwächen im Detail

Oder vielleicht …

  • … Alfa 159 Sportwagon
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(Bild: kmm)



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