Carbon-Fieber

McLaren MP4-12C: Einer der Besten der Welt

Motor
15.10.2012 00:49
Britisches Understatement ist nicht das Metier der Herrschaften bei McLaren. "Ultimative Performance" ist noch das Harmloseste, was aus Woking in der Grafschaft Surrey schallt, wenn es um den McLaren MP4-12C geht. Aber wie heißt es so schön: Mit voller Hose ist gut stinken – der Supersportler mit dem Karbon-Chassis und dem revolutionären Fahrwerk hält, was seine Väter versprechen.
(Bild: kmm)

Das Auge gleitet über die eleganten Linien des Briten-Geschosses. Liebevoll haben die Designer das McLaren-Logo, diesen Bumerang-artigen Bogen, vielerorts in die Karosserie geformt. Etwa in Form der seitlichen Lufteinlässe oder auch derer an der Front. Unter der Heckscheibe wartet der 3,8-Liter-Biturbo-V8-Mittelmotor darauf, seine 600 PS auf die 305er Pirelli P Zeros, die auf 20-Zöllern montiert sind, loszulassen. Ich fahre mit der Hand die Linien entlang und wie durch Zauberhand öffnet sich die Tür – es gibt keinen Griff, stattdessen reagiert ein Sensor auf das Drüberstreichen.

Man braucht Herausforderungen im Leben
Die erste Herausforderung, die der 12C seinem Fahrer stellt, ist, angemessen elegant einzusteigen. Es gilt, geschmeidig über den breiten Karbon-Rahmen in den reduziert liebevollen Innenraum auf den perfekten Sportsitz zu gleiten, sich dabei nicht das Gesicht an der Seitenscheibe, die aus der Schmetterlingstür ragt, zu stoßen und dabei auch noch gewinnend zu lächeln. Erstaunlicherweise fällt mir das auf der Fahrer- leichter als auf der Beifahrerseite, und es ist deutlich einfacher, als es sein könnte, denn die Türen nehmen einen Teil des Seitenschwellers praktisch mit nach oben.

Der verbleibende breite Einstieg deutet auf ein technisches Alleinstellungsmerkmal hin, das der knapp 1,20 Meter hohe Renner im Sportwagenmarkt genießt: Sein extrem steifes, MonoCell genanntes Chassis ist aus Kohlefaser gebacken, Radaufhängungen und weitere Aluminiumstrukturen sind direkt damit verschraubt. Das ist gut für Gewicht und Steifigkeit und hält im Falle eines Unfalles die Kosten relativ gering, weil diese Teile in Windeseile austauschbar sind.

Aber wir wollen nicht schon vor den ersten gefahrenen Kilometern den Teufel an die Wand malen. Jetzt ist der Zeitpunkt für eine dezente Adrenalinausschüttung. Die Sitzposition ist wunschgemäß, auch für meine langen Beine. Der Druck auf den Startknopf erweckt die Maschine hinter den Sitzen zum Leben, dezent brüllt sie mir ins Ohr, ich möge doch bitte am "Powertrain"-Knopf drehen. Der verschärft zweistufig Motoransprechverhalten und Schaltcharakteristik – und den Motorsound. Ja, so muss das klingen, damit sich die Nackenhaare aufstellen!

Ungewöhnliche Bandbreite von Komfort bis Brett
Auf der Fahrt ins "Zielgebiet", wo ich die Pferde etwas von der Leine lassen will, fällt der ungewöhnlich hohe Fahrkomfort auf. Sogar über holprige Bahngleise, ja man muss schon fast sagen, gleitet der 12C hinweg, wo deutlich harmlosere Sportwagen die Bandscheiben zum Singen bringen. Das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe wechselt die Gänge anständig, sanft und zügig, wie es auch einem braven Familienauto gut zu Gesicht stehen würde.

Wenn es zur Sache gehen soll, kommt der zweite Drehknopf namens H wie Handling ins Spiel, und der ist für die Einstellung von Fahrwerk, Lenkung und Stabilitätskontrolle zuständig. Normal, Sport und Track (Piste) sind die Wahlmöglichkeiten, wobei T doppelt so hart ist wie N, sagt McLaren. Den Winter-Modus als Extra-Alternative auf Knopfdruck (wirkt auf P und H) lasse ich angesichts der günstigen Witterung außer Acht - den Manuell-Knopf fürs Getriebe und den "Aero"-Knopf, damit der Heckflügel dauerhaft draußen bleibt und für Abtrieb sorgt (62 kg bei 200 km/h), aktiviere ich dagegen.

Wehe, wenn er losgelassen
Der Fuß drückt das Pedal, der Motor brüllt "mehr, mehr, mehr!" und die Pirellis krallen sich in den Asphalt. Die nächste Herausforderung: 600 PS und Nm Richtung Hinterachse mit im Track-Modus abgeschaltetem ESP. Und: Wie soll man sich hier zügeln? Die Querbeschleunigung ist beeindruckend, das dürfte im Moment keiner besser machen. Der Schwerpunkt liegt tief, und das merkt man. Sensationell auch das Feedback von der Straße. Extrem direkte, zielgenaue Lenkung, transparentes Fahrwerk, das fährt sich alles so entspannt, dass auch ein leichter Heckausbruch im Winkelwerk den Puls nicht wesentlich beschleunigt. Das Getriebe wechselt die Gänge rasend schnell, und dabei dennoch recht sanft, egal ob im Automatikmodus oder mit den perfekt zur Hand liegenden metallenen Paddles.

In 3,3 Sekunden passiert die Tachonadel den Hunderter, nach insgesamt 9,1 Sekunden ist Tempo 200 erreicht. Wie auf einem Motorrad beamt es dich nach vorn, wenn du aufs Gas steigst. Bei 2.000 Touren sind schon 80 Prozent des maximalen Drehmoments verfügbar, von 3.000 bis 7.000 liegt die volle Kraft von 600 Nm an, weitergedreht wird bis 8.500/min. Beim Bremsen stellt sich der Heckflügel auf und trägt seinen Teil zum sehr geringen Bremsweg bei (Werksangabe 100 – 0 km/h in 30,5 m, 200 – 0 km/h in 123 m, sagt McLaren). Am Rande bemerkt: Auch die Bremsen sind natürlich erstklassig zu dosieren.

Leistung und Fahrverhalten machen gleichermaßen süchtig. Der Wagen nickt nicht, der Wagen neigt sich nicht, er fährt wie ein Brett um die Ecken. Das kommt von einer weiteren technischen Besonderheit: ProActive Chassis Control. Die Dämpfer sind direkt miteinander verbunden und dadurch praktisch mechanisch adaptiv. Über Sensoren wird der Druck geregelt. Ein mechanischer Stabilisator ist nicht vonnöten. Damit ist eben auch die oben angesprochene Komfort-Einstellung möglich. Was es auch nicht gibt, ist ein mechanisches Sperrdifferenzial. Diese Funktion übernimmt eine elektronisches "Break Steer"-System, das selektiv in die Bremsen eingreift und dabei auch auftretendem Untersteuern wirksam entgegenwirkt.

Einziger Nachteil des Konstruktionskonzeptes ist, dass das Karbonchassis wie ein Schallkörper wirkt, der immer wieder Fahrwerksgeräusche im Sinn von Knacken und Ähnlichem zu Gehör bringt. Das muss man wissen, sonst glaubt man, es ist was kaputt.

Mit 1.434 kg ist der McLaren ein Leichtgewicht, trocken wiegt er nur 1.336 kg oder mit entsprechenden Extras nur 1.301 kg. Die MonoCell kommt auf nur 75 kg, Dach, vordere Kotflügel und Motorabdeckung sind aus Aluminium, genauso wie zahlreiche Komponenten. Die Abmessungen (4,51 m lang, 1,91 m breit, 1,20 m hoch) sind fast identisch mit dem Ferrari 458 Italia - aber der Brite ist je nach Version 44 bis 79 Kilogramm leichter.

Als Maximalgeschwindigkeit gibt McLaren 330 km/h an. Die Beschleunigung von 0 auf 100 bzw. 200 km/h lässt sich mit optionalen Corsa-Reifen noch um zwei Zehntel verbessern – auf 3,1 bzw. 8,9 Sekunden.

Apropos: In die Optionals kann man problemlos 100.000 Euro stecken, von Keramikbremsen bis zu Karbonteilen. Zehn Stück des MP4-12C wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt in Österreich bereits verkauft, zehn davon blieben auch im Land – alle nicht zum Grundpreis von 252.750 Euro. Geld stinkt nicht. Es kann einem nur stinken, wenn man nicht genug davon hat…

Warum?

  • Einzigartige Konstruktion
  • Sensationelles Fahrverhalten

Warum nicht?

  • Schallkörpergeräusche etwas gewöhnungsbedürftig

Oder vielleicht …

… Ferrari 458 Italia, Porsche GT2 RS, Lamborghini Gallardo

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(Bild: kmm)



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