Zentrum in Bangalore

So viel Indien steckt in jedem Mercedes

Motor
13.11.2016 10:38

Seit 20 Jahren leistet sich Mercedes ein Entwicklungszentrum im indischen Bangalore. Was 1996 mit 10 Mitarbeitern begann, ist mit fast 4.000 Ingenieuren und Programmierern heute das größte seiner Art außerhalb Deutschlands.

(Bild: kmm)

Während Europa bibbert, brennt über Bangalore die Sonne. Da die drittgrößte Stadt 900 Meter hoch liegt, sind die 32 Grad aber gut auszuhalten. Ein klimatisches Paradies also, wenn der Dauerstau auf maroden Straßen ebenso ignoriert wird wie allgegenwärtige Armut in Bretterbuden, Tausende von streunenden Hunden oder die nur selten funktionierende Müllabfuhr. Bangalore gilt dennoch als vergleichsweise wohlhabend. Hier haben sich große europäische Konzerne angesiedelt, nutzen den Faktor Mensch, vor allem die Heerscharen gut ausgebildeter Ingenieure, die mit Computern, Software und Elektronik perfekt umgehen.

Monat für Monat stellt Mercedes in seinem riesigen Entwicklungszentrum vor den Türen der Zehn-Millionen-Metropole rund 100 neue Ingenieure ein. Ende des Jahres werden 4.000 vor allem einheimische Fachleute einen Mercedes-Hausausweis haben. Begonnen hatte alles vor genau 20 Jahren mit 10 Stuttgartern, die "einfach mal beobachten und Trends nach Deutschland melden sollten", erinnert sich Thomas Weber. Der Entwicklungschef aus dem fernen Stuttgart, der zum Jahresende in den Ruhestand geht, widmete eine seiner letzten Dienstreisen der Jubiläumsfeier. "Bangalore ist für uns unverzichtbar geworden", betont er und spricht vom "größten und einem der wichtigsten Standorte außerhalb Deutschlands".

Wesentlich ist die Kunst der Simulation
Nicht China, wo Mercedes die meisten seiner neuen Autos verkauft. Indien also, ein Land mit immerhin auch 1,3 Milliarden Einwohnern. Hier werden zwar nur recht wenige Autos mit dem Stern verkauft, gerade mal 13.500 im letzten Jahr und damit viel weniger als jeden Monat im vergleichsweise kleinen Deutschland. Aber die Ingenieure und Software-Spezialisten können etwas, um das sie in der Mercedes-Welt beneidet werden. Sie werden mit Aufträgen aus der Stuttgarter Zentrale überschüttet, beherrschen vor allem die Kunst der Simulation.

Manu Saale, Chef in Bangalore, erklärt: "Wir packen alles in den Computer, ohne dass ein neues Modell jemals in Indien vor Ort sein muss. Vieles, was früher nur auf der Teststrecke in Tausenden von Kilometern erprobt werden konnte, machen wir auf dem Bildschirm." Das spart Geld und beschleunigt die Entwicklung vieler Komponenten für neue Modelle. Als Beispiel nennt Saale, der lange Zeit in Deutschland tätig war, aber aus Bangalore stammt, die Enteisung der Frontscheibe. "Obwohl wir hier nie mit Frost oder beschlagenen Scheiben konfrontiert sind, haben wir dank der Simulation im Computer eine wirkungsvolle Anordnung der Warmluftdüsen nach Stuttgart schicken können".

Assistentenentwicklung trotz Radarverbot
Ähnliches gilt für die Weiterentwicklung der vielen elektronischen Assistenzsysteme, ohne die kein Mercedes mehr auf die Straße kommt. Manu Saale schmunzelt: "Da in Indien die Nutzung von Radar zum Beispiel beim Abstandsassistenten nur eingeschränkt erlaubt ist, mussten wir die Entwicklung und die Testfahrten im Rechner simulieren. Die Ergebnisse unserer Arbeit haben sich dann aber in Europa weitgehend bestätigt".

Es sind also keine auf Jubelfesten sonst übliche Lobeshymnen, wenn Thomas Weber die Arbeit seiner Dependance in höchsten Tönen lobt: "Da in jedem neuen Mercedes heute schon ein großes Stück Indien steckt, können wir neue Technologien viel schneller auf die Straße bringen als zuvor". So ist Bangalore auch in die Entwicklung wichtiger Bauteile eingebunden, die für das kommende autonome Fahren bestimmt sind. Da sich viele der Zulieferer, wie Softwarefirmen oder Hersteller von elektronischen Komponenten, ebenfalls in der Nähe angesiedelt haben, gibt es eine enge Zusammenarbeit. Über die einstige Rolle als "verlängerte Werkbank für Stuttgart" mit deutlich niedrigeren Löhnen ist Bangalore längst hinausgewachsen.

Ein Aspekt liegt Saale besonders am Herzen. "Mit 140.000 Toten haben wir die höchste Zahl an Verkehrsopfern auf der Welt". Deshalb arbeiten seine Leute auch mit an der Daimler-Vision vom "unfallfreien Fahren". Natürlich weiß der Ingenieur, dass die Erfüllung dieses Traums in seinem Heimatland viel länger dauern wird als in den reichen und mit besseren Straßen gesegneten Ländern, in denen Mercedes ja auch die meisten Autos verkauft. "Aber wenn wir nur ein wenig dazu beitragen können, hat sich unsere Arbeit schon gelohnt."

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(Bild: kmm)



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