500 km? 210 km/h?

Tesla Model S: Was der E-Sportler wirklich kann

Motor
13.02.2014 13:32

Wer von Elektroautos spricht, meint im Allgemeinen kleine, flinke Stadtflitzer mit wenig Reichweite. Ganz wichtig: Öko-Image. Und dann gibt's da den Tesla Model S. Der verspricht mit über 400 PS jede Menge Fahrspaß und mit rund 500 Kilometer Reichweite kaum Einschränkungen. Im Alltag relativiert sich allerdings manches.

(Bild: kmm)

Er steht schon beeindruckend da, elegant, lang, flach, breit. Optisch wirkt er wie eine Mischung aus Maserati, Aston Martin, Audi und Hyundai. Der Karbonspoiler verweist auf die 85 kWh Performance Version. Und das ist auch schon das Stichwort: Es geht um Performance. Bei fast 5 Meter Länge kann man vom Gegenteil eines City-Stromers sprechen, und bei einem Gewicht von 2,2 Tonnen vom Gegenteil eines Ökomobils.

Leistungs-Wirrwarr - auf jeden Fall genug
Der Tesla Model S Performance ist ein Hightech-Sportwagen mit 600 Nm Drehmoment aus dem Stand. Was die Leistung betrifft, kommuniziert Tesla - sagen wir - ein wenig ungewöhnlich. Auf der Vienna Autoshow und auf Infoblättern werden für die Topversion 476 PS genannt, im Konfigurator auf der Website hingegen 421 PS. Häh?! Also: Tatsächlich gilt der kleinere Wert. Der Motor würde allerdings 476 PS leisten, wird aber dadurch eingebremst, dass die Akkus nicht genug Saft zur Verfügung stellen.

Mir mangelt es trotzdem nicht an Leistung. Beim Tritt aufs Pedal presst's einen in den Sitz, wie's ärger kaum geht. Hat man das Grünblinken der Ampel verpasst und sieht Gelb - mit einem Tritt aufs "Gaspedal" macht der Tesla einen Satz und schafft es noch, bevor Rot leuchtet. In knapp über 4 Sekunden ist Tempo 100 erreicht, also schneller als im Porsche 911. Maximal sind 210 km/h drin. Kurz hab ich mich mit 200 km/h in den Rückspiegel eines 911ers gehängt (ich glaube, es war sogar ein Turbo), der Tesla schiebt auch bei hohem Tempo noch gewaltig an.

Reichweite? 50 Prozent sind realistisch
Bei Tempo 200 gilt natürlich keine Reichweitenangabe. Doch auch bei moderater Autobahnfahrt kann von 500 km nicht die Rede sein. Realistisch sind 250 Kilometer, jedenfalls bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Ich hab's mit Ach und Krach von Wien bis Salzburg geschafft, mit 50 Minuten Zwischenladen an einer Smatrics-Station in Amstetten. Dabei bin ich zunächst brav maximal 130/140 km/h laut Tacho gefahren, ab der Hälfte der Strecke dann unter 100 km/h.

Ein wenig verwirrend sind die aktuellen Reichweitenangaben, die man abrufen kann. Am Tacho hat man die "typical range", die ein fixes Verbrauchsprofil hinterlegt hat. Damit kann man gut abschätzen, wie voll die Akkus noch sind. Zusätzlich kann man am Bordcomputer eine aktuelle Prognose auf Basis der letzten 10, 25 oder 50 Kilometer abrufen. Ebenso einen Momentanverbrauch auf derselben Basis. Wie sich ein MOMENTANverbrauch auf der Basis einer vergangenen Strecke errechnet, konnte mir auch bei Tesla niemand erklären.

Erstaunliches Fahrverhalten
Dass der Tesla Model S so viel wiegt wie ein Range Rover (2,2 Tonnen), merkt man ihm nicht an. Er liegt mit seinem Luftfahrwerk wie ein Brett auf der Straße und neigt sich in Kurven praktisch überhaupt nicht. Hier kommen ihm der tiefe Schwerpunkt durch die unter dem Boden liegenden Akkus und die sehr breite Spur zugute. Trotz aller Sportlichkeit ist der Tesla ziemlich komfortabel und gleitet sogar über Holperstrecken sanft hinweg. Nur auf sehr welligen Straßen, wie z.B. am Knoten Inzersdorf Richtung Süden, spürt man ein deutliches Dröhnen im Innenraum.

Wenn man sportlich durch ein Kurvengeschlängel fährt und es ist auch noch nass oder sonstwie rutschig, muss man immer im Gespür haben, dass die Hinterräder wegen der Rekuperation (Energierückgewinnung) verzögern, sobald man vom Gas geht. Das ESP regelt zwar verlässlich und ziemlich brüsk, es ist aber trotzdem nicht ganz ohne. Abschaltbar ist es übrigens nicht, nur die Traktionskontrolle lässt sich deaktivieren.

Trügerische Stille
Egal wie schnell ich fahre - mehr als ein leises Sirren und ein bissl Fahrtwind ist nicht zu hören. Elektroautofahren ist leise. Deshalb sollte man immer schön brav auf den Tacho schauen, weil man nicht hört, wie schnell man gerade unterwegs ist. Und man ist hier eben sehr schnell zu schnell. Okay, bei 200 km/h hört man auch den Elektromotor ein wenig.

Innenraumschiff Enterprise
Schnörkellos, schlicht, futuristisch und ungewöhnlich geht es im Innenraum zu. Alles wird dominiert von einem 17 Zoll großen Touchscreen, über den das ganze Fahrzeug bedient wird. Darunter gibt es leider statt einer Mittelkonsole ein riesiges, offenes Staufach, wo ein Ungetüm von einer Handtasche Platz findet. Man kann auch ungehindert zwischen den Vordersitzen hin- und herwechseln. Was außerdem fehlt, sind Fächer in den Türen und ein solches unter der Mittelarmauflage. Hier finden sich lediglich zwei Becherhalter.

Das riesige Display, fast so groß wie zwei iPads, ist immer online und ein herrliches Spielzeug. Es kann ein gigantisches Navi sein, mit Karten- oder Satellitendarstellung, oder mit Touchtasten ein (recht langsames) Tablet zum Internetsurfen. Sehr angenehm ist, dass man Internetradios genauso zur Hand hat wie normale Radiosender. Die Rückfahrkamera zeigt sogar in Zentimetern an, wie weit es zum Hindernis ist (über 30 cm).

Doch das lustige Display hat auch seine Nachteile. Man muss sogar Scheinwerfer und Schiebedach erst in einem Menü finden, bevor man sie bedienen kann. Heizung und Lüftung sind ohne Menüversteck immer am unteren Bildschirmrand präsent und relativ gut zu bedienen, weil man recht unpräzise tippen kann. Natürlich hat man immer jede Menge Fingertapper auf dem Screen, und dass während der Fahrt immer eine riesige Fläche leuchtet, muss man auch wollen.

Klassisch bedient (mit Mercedes-Lenkstockhebeln) werden Scheibenwischer, Blinker, Tempomat und Fahrstufen. Zwei Knopferln finden sich dann doch neben dem Display: eines für den Warnblinker und eines, um das Handschuhfach zu öffnen. Und am Lenkrad gibt es eine kleine Walze für die Lautstärkeregulierung und eine weitere, mit der einige Funktionen wie etwa die Temperatur zusätzlich bedient werden können. Das ist aber eher unpraktisch.

Von Akkus und Feuergefahr
Es gibt eine weitere Gemeinsamkeit mit dem iPad: Die Akkus sind die gleichen Consumerzellen wie in Tablets und Handys. Die sind extrem leistungsstark, aber einfach nicht so sicher wie die Batterien, die beispielsweise im BMW i3 verbaut sind. Die drei Brandunfälle mit Teslas, die durch die Schlagzeilen gegangen sind, waren kein Zufall, sind aber auch kein Grund zur Panik.

Platz ohne Ende
Da, wo andere Autos ihren Motor haben, hat der Tesla Model S einen Kofferraum (vorne, 150 Liter). Da, wo andere ihren Kofferraum haben, auch: Satte 745 Liter passen hinten unter die Klappe, zusätzlich sind die Rücksitzlehnen geteilt umklappbar. Der Testwagen hat im Kofferraum sogar noch zwei ausklappbare Sitze für sehr kleine Mitfahrer, die dann gegen die Fahrtrichtung Platz nehmen und die Heckscheibe vor der Nase haben. Als Notbehelf, wenn man die Kids vom Fußballtraining abholen will, aber durchaus praktisch. Das Ladevolumen sinkt dadurch ein wenig.

Alle Möglichkeiten beim Laden
Was das Laden betrifft, spielt der Tesla Model S wirklich alle Stückln. Es gibt ein Typ-2-Schnelladekabel, das man an Ladestationen anschließen kann, etwa auch an Superchargern, die die Akkus in einer halben Stunde zu 80 Prozent aufladen und deren Netz gerade ausgebaut wird. In Österreich braucht man da in absehbarer Zeit aber noch nicht drauf hoffen, obwohl es immerhin schon eine Station gibt - in St- Anton. Aber es gibt einige Smatrics-Stationen, an denen man ziemlich schnell und günstig Ladung zapfen kann.

Zusätzlich liegt ein "normales" Kabel im Kofferraum, mit dem man an der Haushaltssteckdose oder (per Adapter) auch an einer dreiphasigen Starkstromdose laden kann, was die Ladezeit wiederum drastisch verkürzt. Im Test waren die Akkus damit nach weniger als sechs Stunden komplett gefüllt.

Relativ günstiger Einstiegspreis
Mit 306-PS-Motor und der 60-kWh-Batterie (390 Kilometer NEFZ-Reichweite) ist der Tesla Model S bereits ab 66.000 Euro zu haben. Die 367-PS-Version mit 85 kWh kostet 75.000 Euro, die 421-PS-Performance-Version steht ab 88.000 Euro in der Listein, was auf der Preisliste steht. Auch der Wegfall der 200.000-km-Begrenzung für die 8-Jahre-Akku-Garantie.

Der Tesla Model S ist richtig sportlich, bietet viel Platz und kommt für Elektro-Maßstäbe richtig weit, auch wenn die Reichweitenangaben in der Praxis nicht halten. Wer die passende Ladeinfrastruktur vorfindet, sich nicht dran stört, dass während der Fahrt immer ein riesiges Display leuchtet, und auf klassische Knöpfe verzichten kann - der wird mit diesem iPad auf Rädern richtig viel Spaß haben.

Warum?

  • Ein echtes Spaßgerät mit vielen durchdachten Lösungen
  • Reichweite deutlich besser als bei allen anderen reinen Elektroautos

Warum nicht?

  • Unter ökologischen Gesichtspunkten zweifelhaft
  • Fahrzeugbedienung letztlich unpraktisch

Oder vielleicht …

… arrangiert man sich einfach mit der Bedienung und freut sich an dem einzigartigen Auto - wenn man das Geld locker sitzen hat.

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(Bild: kmm)



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