Groß und mächtig

Vier Tage mit dem Vierzigtonner Iveco Stralis

Motor
14.01.2009 13:32
Einmal König der Landstraße sein, in einem 40 Tonnen schweren Lastzug durch die Lande trucken und das Horn erschallen lassen – das ist der Traum vieler „Kinder im Manne“. Und Iveco hat mir den Bubentraum erfüllt. Da steht er also vor mir, der brandneue Iveco Stralis mit seinen 560 PS. Groß und mächtig, in edlem Schwarz mit silbergrauen Tribals (ein tätowierter Laster!), über vier Meter hoch, fast 17 Meter lang, 2,55 Meter breit (plus Spiegel!) teuer wie ein Edelsportwagen und bereit, sich meinem Willen zu unterwerfen…
(Bild: kmm)

Natürlich braucht man einen gültigen Lkw-Führerschein, um dieses Ungetüm bewegen zu dürfen, außer man fährt auf abgesperrtem Gelände (etwa bei einer Iveco-Roadshow). Ich habe den Schein vor 20 Jahren bei der Fahrschule erworben, die mit olivgrünen Lkws und in ebensolchen Uniformen unterwegs ist, darf also fahren. Trotzdem hatte ich vor der ersten Fahrt extremes Lampenfieber, so ein Lastzug ist schon eine gewaltige Herausforderung.

„Beim Abbiegen unbedingt eineinhalb Meter ausholen, sonst nimmst das Eck mit, und pass im Kreisverkehr auf scharfe Randsteine auf, die machen dir die Reifen kaputt!“, instruiert mich der freundliche Mann bei Iveco. Obwohl er weiß, dass ich so ein Ungetüm noch nie gefahren habe, vertraut er darauf, dass nichts passiert. Ich mache also das Gleiche und entere das 3,90 Meter hohe Führerhaus. 

Hoch und höher
Drin könnte man sich glatt verlaufen. Sogar ich mit meinen 1,88 Metern kann zwischen Fahrer- und Beifahrersitz aufrecht stehen (Höhe 1,95, vor den Sitzen 2,17 Meter), was gut ist, schließlich ist das Führerhaus praktisch das Wohn- und Schlafzimmer von Berufsfahrern. Zwei Betten sind vorhanden, übereinander, dazu jede Menge Stauraum (insgesamt über 600 Liter), fast wie in einem Wohnmobil. Sogar eine Dachluke ist da, sie öffnet sich auf Knopfdruck. 2,38 Meter ist die „Active Space“-Kabine breit und fast zwei Meter lang.  

Schalten übernimmt der Computer
Das Lenkrad ist pneumatisch verstellbar, der Sitz hat unzählige Einstellungsmöglichkeiten, die passende Sitzposition ist schnell gefunden. Schlüssel ins Zündschloss gesteckt und herumgedreht. Das Display zwischen Tacho und Drehzahlmesser zeigt den Systemcheck, dann den Druck des Zweikreisbremssystems und den Füllstand des Abgasminderers „Ad Blu“.

Das hier ist Hightech, keine Frage; der Bordcomputer zeigt alles, was ein Fahrer brauchen könnte. Einen Schalthebel suche ich vergeblich, hier wird automatisiert geschaltet (ein normales Getriebe ist natürlich auch erhältlich), bzw. mit dem Lenkstockhebel, der auch die zweistufige Motorbremse aktiviert. Ich drehe den Schlüssel wie im Pkw ein Stück weiter, die 13 Liter Hubraum füllen sich mit Power, das Triebwerk läuft. Per Knopfdruck lege ich einen Vorwärtsgang ein, der Computer sucht sich automatisch den richtigen der zwölf Gänge aus, je nach Bedarf. Das Display zeigt den dritten Gang an. Okay, ich löse die Handbremse, steige zugleich aufs Gas und los geht’s. Ich fahre zum ersten Mal einen Vierzigtonner! 

Das Getriebe schaltet auf den sechsten, den achten Gang bis rauf in den zwölften, begleitet von lauten Zischgeräuschen. Das Monster schnaubt. In den (beheizten) Rückspiegeln kontrolliere ich, wo ich unterwegs bin, also wie weit entfernt von Bodenmarkierungen oder geparkten Autos. Jetzt muss ich erst mal ein Gefühl für die Abmessungen entwickeln, damit ich ohne gröbere Schäden durch den Stadtverkehr komme. Doch das geht erstaunlich gut. Lkw-Fahren ist offenbar wie Radfahren: Man verlernt es nicht. Nur das Abbiegen ist anfangs eine Herausforderung, weil die drei Achsen des Aufliegers sehr weit „hereinlaufen“. Die Verkehrszeichen und Ampeln an den Kreuzungen sollen nachfolgenden Verkehrsteilnehmern auch noch dienen. Und geparkte Autos möchte ich auch nicht mitnehmen, schließlich fahre ich keinen Autotransporter. Insgesamt hat der Stralis sechs Spiegel, zwei links, vier rechts, kein Schminkspiegel. 

Aufpassen wie ein Haftlmacher
Aufpassen heißt es vor allem vor Unterführungen. Mit Auflieger ist der Stralis über vier Meter hoch. Wer zu spät sieht, dass eine Unterführung niedriger ist, hat ein Problem. Auch wenn er nicht dagegen donnert, sondern auch, wenn er plötzlich vorm Portal steht. Zurückrangieren ist mitten auf der Straße kein Spaß.

Ab 60 km/h hilft auch ein elektronisches Tool, die Spur zu halten. Es dröhnt laut aus den Lautsprechern, wenn die Räder eine seitliche Fahrbahnmarkierung berühren. Das könnte manchen Einschlafunfall verhindern. Das kenne ich bisher nur von Citroen, wo allerdings der Fahrersitz unterm Hintern zu vibrieren beginnt. 

Hoch auf dem schwarzen Wagen
Die Übersicht ist gigantisch, man sitzt tatsächlich über den Dingen, sieht weit nach vorne oder auch über Gartenmauern drüber. Und die Leute auf der Straße drehen sich um nach diesem großen Schwarzen. Schön langsam werde ich sicher, kann mich also um Nebensächlichkeiten kümmern. Die Sitze sind extrem angenehm, auf vielerlei Art zu verstellen, aus Leder und von Recaro. Klar, hier verbringen Profifahrer ihr halbes Leben. Getankt wird nicht allzu oft, die beiden Tanks fassen insgesamt 1.100 Liter. Macht eine Reichweite von weit über 3.000 Kilometern. 

Den Weg findet der Fahrer von heute übers Navigationssystem, in meinem Lkw ist nur leider keine DVD eingelegt. Das Radio sitzt über meinem Kopf neben Navi-DVD-Player und digitalem Fahrtenschreiber. In so einem stylischen Präsentationszug hätte ich mir imposanten Sound erwartet, der ebenso fett daherkommt wie die neuseeländische Rugby-Mannschaft auf der Plane, doch der Klang beschränkt sich auf das Wesentliche. Was mir aber wirklich fehlt, sind Ablagen rund um den Fahrerplatz. Nicht mal meine Sonnenbrille oder die beiden Handys bringe ich sinnvoll unter, geschweige denn eine 1,5-Liter-Wasserflasche. Die Fensterheber sind elektrisch, nur schade, dass sich die Scheiben nicht vollständig versenken lassen und mein linker Arm auf der Scheibenkante liegen muss, wenn ich ihn lässig hinaushängen lasse. 

Psssst!
Ganz nebenbei fällt mir auf, dass mir etwas nicht auffällt: Lärm nämlich. Lkw-Fahren habe ich als laut in Erinnerung, das ist es hier gar nicht. Auf der Autobahn hört man eigentlich hauptsächlich Windgeräusche und das Gebläse der Klimaanlage. Und der 560-PS-Motor mit seinen bulligen 2.500 Nm aus 13 Litern Hubraum macht tatsächlich Freude. Bei 90 km/h wird abgeregelt, darunter mache ich mir mein Autobahntempo mit dem Tempomaten. 

Wie ist das mit 560 PS in der leeren Zugmaschine?
Erst im Vergleich mit der leeren Zugmaschine fällt auf, wie gut der Federungskomfort bei beladenem Truck ist. Natürlich ist das Fahrzeug auf Beladung ausgelegt, deshalb schaukelt es einen auf Bodenunebenheiten und vor allem Wiener Holperschwellen) auch gewaltig, wenn das Gewicht fehlt. Wenn die Hinterachse unbelastet ist, haben die Räder richtiggehend Traktionsprobleme, sogar auf trockener Straße spricht das ASR ständig an, wenn man mit Vollgas aus dem Stand hochbeschleunigt. Auf nasser Straße ist Vorsicht geboten, da ist das System echt überfordert. Eine leichte Linkskurve habe ich bei 50 km/h zart driftend genommen.

Aber natürlich macht so eine Zugmaschine Spaß. 560 PS bei gut sieben Tonnen sorgen für flottes Vorwärtskommen. Nach ca. 13 Sekunden erreicht man Tempo 80, und wenn die Schaltvorgänge nicht so lange dauern würden (es ist halt kein Ferrari), wäre man noch schneller. Die Versuchung, sich im Rückspiegel eines Pkw imposant aufzubauen, ist groß, Abstandhalten ist aber vernünftiger. 

Nach vier Tagen gebe ich dieses fantastische Gefährt zurück, lässig betätige ich die Fernbedienung der Zentralverriegelung. Der Mann bei Iveco wirkt dann doch ein bisschen erleichtert, als er mich und den Zug unbeschadet wieder sieht. Was mir bleibt, sind tolle Erfahrungen, ein bisschen Stolz - und Hochachtung vor denen, die tagtäglich am Steuer eines Lkw auf den Straßen unterwegs sind!

Von Stephan Schätzl
Fotos: Andi Graf und Stephan Schätzl

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(Bild: kmm)



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