Harley & Co(py)

Voyager Custom: Schweres Eisen für harte Jungs

Motor
30.08.2011 10:07
Mehr als ein Kollege hat mich im "Krone"-Espresso mit großen Augen gefragt, ob ich mit der fetten Harley da bin, die da draußen auf dem Motorradparkplatz steht. Ja, ich bin, aber was nach einer milwaukeeschen Street Glide aussieht, ist keine, sondern eine Kawasaki VN1700 Voyager Custom. Ein schwarzer Riese mit knapp 400 Kilo und fast doppelt so viel Drehmoment wie PS.
(Bild: kmm)

Es ist schon fast dreist, wie die Japaner da bei Harley-Davidson kopieren. Wenn die Voyager nicht so gelungen wäre, würde ich von chinesischen Verhältnissen sprechen. Aber: Diese Kawa im "Bagger-Style" (sprich: "Bägger") ist wahrlich eine imposante Erscheinung, eine Herausforderung, der man sich ruhig mal stellen kann.

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Die Kawa ist zwar nicht so Harley, wie sie aussieht, aber dafür noch schwerer: Mit 383 kg stehen 15 mehr in den Papieren als bei den Amis, das Gewicht ist echt und fühlt sich auch nicht leichter an. So tief der gemütliche Sattel ist, so hoch ist der Schwerpunkt, weshalb beim Rangieren gelassene Vorsicht hilfreicher ist als eine zerbrechliche Statur. Aber sie heißt ja auch wie ein Raumschiff.

Groß und mächtig
Vor mir ein Armaturenbrett wie in einem alten Pickup, mit Radio und 40-Watt-Lautsprechern, verspielt gestaltet und dadurch nur so ungefähr abzulesen, es steckt in einem riesigen Windschild mit der Andeutung einer abgeschnittenen Scheibe – irgendwie fällt mir ein, wie ich mich als Kind hinter der Schrankwand versteckt habe. Allerdings hatte ich damals keinen 1.700 ccm großen V-Twin zwischen den Beinen. Der leistet kommode 73 PS und stemmt sich mit 136 Nm bei 2.750/min. gegen den Wind. Das tut er mit Nachdruck, aber ohne den Spruch, den die Optik erwarten lässt. Der Sound ist definitiv eher was für ein gutes Verhältnis zur Nachbarschaft als für neidvoll hochgezogene Augenbrauen seitens Ähnlichgesinnter. Immerhin hört man so mehr vom Radio (oder vom MP3-Player). Schwacher Trost.

Kraft und Ruhe (das eine liegt ja bekanntlich im anderen) fügen sich zusammen und lassen die Kawasaki über die Lande gleiten. Solange es hauptsächlich geradeaus geht, ist die Welt vollkommen in Ordnung. Du schaukelst auf 2,43 m Länge und 1,62 m Radstand im Overdrive (so heißt hier originalistisch der 6. Gang) mit Tempomat dahin und denkst an nichts Böses. Der Sattel polstert das Steißbein, auf dem du sitzt, sehr effektiv. Nur ins Kreuz geht’s ein bissl, wenn die Landstraße (sei es die Route 66 oder die L30 durchs Kreuttal) holprig wird. Dann windet sich die Voyager von Welle zu Welle. Wenn auch noch Kurven dazukommen, ist Vorsicht geboten, denn das Vorderrad macht dann lustige Ausflüge, die umso schwieriger einzufangen sind, je schneller du unterwegs bist. Ich würde nicht so weit gehen wie ein Kollege, der es generell vermied, Straßenbahnschienen zu nahe zu kommen, aber man kann schon mal die Contenance verlieren.

Generell ist Raserei nicht der Custom zweiter Vorname, die Fußrasten schleifen schon, wenn von echter Schräglage eigentlich noch keine Rede ist, aber das gehört dazu. Mir kommt vor, dass die VN1700 links noch eine Idee früher aufsetzt, aber das kann auch am Gewicht meiner tschechischen Breitling am Handgelenk liegen.

Gebremst wird mit Hightech
Die Bremsen sind vom Feinsten. Drei 300er-Scheiben werden vorn von Vierkolben-Festsätteln, hinten von einem Doppelkolben-Schwimmsattel bearbeitet – doch der Clou ist das ABS mit sogenannter koaktiver Bremstechnologie (K-ACT = Kawasaki Advanced Coactive-braking Technology), das nicht nur ein Blockieren der Räder verhindert, sondern auch hinten mitbremst, wenn man am Hebel zieht. So kann der rechte Fuß entspannt am Trittbrett stehen bleiben, der linke ist mit Schaltarbeit beschäftigt genug. Übrigens kann das Raufschalten hier klassisch per Ferse passieren. Muss es aber nicht.

Die Bedienung ist teilweise etwas anders als auf anderen Maschinen. Der Zündschlüssel lässt sich abziehen, auch wenn der Motor läuft; da, wo sonst der Hupknopf ist, befindet sich der Lautstärkeregler (leider wirkt er nicht auf den Auspuff) in einem Radiobedienblock, dafür ist die Hupe jenseits des Fernlichtschalters. Der Tempomatregler sitzt am rechten Griff. Beim Setzen einer Geschwindigkeit nicht erschrecken, da reißt das Gas gleich mal kurz, aber kräftig an.

Die Kawasaki VN1700 Voyager Custom ist ein rundum gelungenes Stück Bagger-Eisen. Technisch anspruchsvoll (Bremsen!), kräftig, aber mit zu bravem Sound. Sie taugt als Männlichkeitsbeweis, mit den schönen und ganz schön großen Koffern auch zum Einkaufen, also auch für ganz profane Dinge. Dazu ist sie mit einem Grundpreis von 21.450 Euro rund 6.000 Euro billiger als das Original aus Milwaukee und an manchen (nicht an allen) Stellen sogar schöner, auch wenn die verchromten Koffergriffe aus Plastik sind. Aber: Nur wo Nutella draufsteht, ist Nutella drin.

Stephan Schätzl

Warum?

  • Weil sie technisch und optisch wirklich gelungen ist.
  • Ein Mann muss fahren, was ein Mann fahren muss.

Warum nicht?

  • Kein Original.
  • Weichspülsound.
  • Kippelig, in holprigen Kurven schwer zu beherrschen.

Oder vielleicht …

  • … doch noch ein bisschen sparen.

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(Bild: kmm)



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