Ikone mit Urgewalt

Yamaha Vmax: Jenseits von Gut und Böse

Motor
01.10.2009 14:59
Das ist kein Motorrad, nein, das ist was Persönliches. „Time To Ride – This Is Vmax“ impft das Display auf der Tankattrappe dem Fahrer in die Netzhaut. Es braucht etwas mentale Vorbereitung, bevor man diesen Vulkan zündet. Die Yamaha Vmax ist eine Ikone, die sich normalen Maßstäben entzieht: 200 PS und 167 Nm entspringen einem V4 mit 1,7 Litern Hubraum, der in einem martialischen Motorrad sitzt, das man Superbike nennen müsste, wenn der Begriff nicht schon besetzt wäre. Und dann drückst du den Startknopf.
(Bild: kmm)

Fast glaubt man, der Anlasser könnte auch ein Elektromoped antreiben. Er kämpft ein wenig mit den metallenen Massen und lässt mich einige Sekunden teilhaben an dem Gefühl, eine große Maschine anzuwerfen. Problemlos springt sie an und geht in leicht unregelmäßiges Bollern über. Sanfter als erwartet! Auch das Getriebe: Sanft gleitet der erste Gang rein, die Kupplung ist leichtgängig, und auch das Anfahren ist relativ unspektakulär, wenn man seine rechte Hand einigermaßen im Griff hat und nicht aufdreht wie bei einem 30-PS-Moped.

Best Beschleunigung ever
Für diese sanfte Tour ist die Vmax aber nicht gemacht, sondern für absolut brachiale, unglaublich arge, mörder Beschleunigung! Hintergrund: Top-Zeiten auf der Viertelmeile - darauf ist alles ausgelegt. Fetter 200er-Schlapfen, ein Radstand von 1,70 Metern, flache Gabel, langer Nachlauf. Die Vmax steigt nicht, sie ist eine Schwarzmalerin auf dem Asphalt. Und wer sie zähmt, erreicht in 2,7 Sekunden die Hunderter-Marke! Das schafft keine andere! Keine Hayabusa, keine R1, keine Fireblade – „This Is Vmax“. Gepriesen sei die Lehne für den verlängerten Rücken, so läuft keiner Gefahr, sich bei der Vollgasorgie am Lenker festkrallen zu müssen. Die Bremsen (radial montierte Sechskolben-Zangen) sind dagegen nicht die stärksten, dafür aber ABS-geregelt.

Was für die Beschleunigung auf der Geraden gut ist, hat natürlich Schwächen im Winkelwerk. Zum Kurvenwetzen taugt die Vmax nicht, auch wenn sie wendiger ist, als sie aussieht. Heftiges Gegenlenken ist gefragt, Pendeln angesagt (wenn auch nicht annähernd so wie bei der Ur-Vmax), eine saubere Linie Übungssache. Dazu kommt, dass die Sitzposition gemütlich und eher passiv ist. Die Fußrasten liegen hoch, es fühlt sich nach Cruiser an. Verständlich, dass die Höchstgeschwindigkeit auf 220 km/h begrenzt ist.

Auch in der Ruhe liegt viel Kraft
Cruisen ist überhaupt ein gutes Stichwort, denn die Vmax fordert nicht ständig nach einem Ausreizen der Potenz. Es lässt sich auch entspannt cruisen. Sogar in der Stadt bewegt sie sich behände, beim Stauschlängeln merkt man ihr die 315 kg kaum an. Das Getriebe schaltet sich weich, der Kardan schlägt nicht. Der Gasgriff lässt Sprit auch in homöopathischen Dosen durch, man sitzt bequem, beim Dahingleiten im unteren Drehzahlbereich verpasst einem der V4 eine tiefgehende Bauchmassage. Aber man weiß: Man könnte, wenn man wollte! Jederzeit! Und das Schöne: Die Kraftentfaltung ist angenehm linear, da kommen keine überraschenden Sprünge. Noch relaxter wäre die Entspannung, wenn Yamaha eine Antriebsschlupfregelung eingebaut hätte.

Es ist wie spazieren gehen auf einem Vulkan. Der Ausdruck Feuerstuhl passt auch ganz gut, vor allem weil man auf dem Tank sitzt – der Einfüllstutzen ist unterm Fahrerhintern und zeigt sich, wenn man die Lehne per Zug an einem versteckten Schnapperl aufklappen lässt.

Webcam über dem Tacho?
Was da rechts oben am Drehzahlmesser klebt, wirkt wie eine Webcam, mit der überprüft wird, ob der Fahrer durchgehend zufrieden grinst. Weil das nicht notwendig ist, hat Yamaha dort dann doch einen Schaltblitz eingebaut. Gut gemeint, aber zu nah am Fahrer platziert, ist das (eingangs bereits erwähnte) Infodisplay. Es zeigt, welcher der fünf Gänge gerade eingelegt ist, auf welcher Stufe die V4-Heizung gerade läuft, Uhrzeit, Kilometerleistung (plus 2 x Trip) und Tankinhalt, wobei die Tankuhr recht viel zu tun hat: Bei einem Testverbrauch von 9,5 Litern auf 100 km kann man fast zuschauen, wie sich der 15-Liter-Tank leert.

Schneller, als die Polizei erlaubt, …
… ist man mit der Vmax leicht, wenn man die rechte Hand kurz unbeaufsichtigt lässt. Allerdings sind auch die Uniformierten nicht langsam mit ihren Radarpistolen. Prompt hat man mich aufgehalten. Doch dann wurde der Traum jedes ertappten Zuschnellfahrers wahr: Die Herren zeigten Verständnis für die nur mäßig gezügelten Urgewalten – und ließen es bei einem Fachgespräch bewenden. Was mir bisher mit keinem anderen Bike passiert ist.

Die Optik ist kein Blendwerk
Die Faszination, die der Herr Inspektor für die Vmax empfunden hat, kommt nicht von ungefähr. Die Technik ist nicht nur vom Schönsten, sondern auch vom Feinsten. Die Posaunen von Jericho (bei der Ur-Vmax noch Attrappen) beatmen ein Monument von einem Motor mit 1.679 ccm, das als tragendes Element in einem Aluminium-Rahmen verschraubt ist. Alu-Kolben laufen in 65-Grad-Zylindern. Die elektronische Ansaugluftsteuerung YCC-I variiert die Länge der Ansaugtrichter drehzahlabhängig, die Drosselklappen werden elektronisch gesteuert (YCC-T, kommt auch in den aktuellen Yamaha-Supersportlern zum Einsatz). Die Schalldämpfer bestehen aus Titan (Frage an der Ampel: „Ist der serienmäßig?“), Kupplungsdeckel, Lichtmaschinendeckel und die Abdeckung des Endantriebs aus Magnesium. Anti-Hopping-Kupplung an Bord.

Gepflegter Kult
Diese Ikone ist zugleich weichgespült und brachial: Im Gegensatz zur Ur-Vmax für jeden Biker mit stabilem Charakter fahrbar, andererseits aber eine Urgewalt, die ihresgleichen sucht. Die Vmax ist so abgehoben von allem, dass man sie nicht mal Probe fahren muss, um sie haben zu wollen. Was gut ist, denn Probefahrten gibt es nicht (danke, Gott, dass ich Motorjournalist sein darf!), Yamaha betreibt einen echten Kult um das Bike, limitierte Stückzahlen inklusive. Bestellt wird übers Internet. Um 26.499 Euro. Plus Extras wie Carbonteile. Inkludiert sind regelmäßige Ampel- und Tankstellengespräche - und ewige Bewunderung…

Stephan Schätzl

Warum?

  • Weil sie der Zweirad gewordene Wahnsinn einer Ikone ist.
  • Das Gefühl, sie zu fahren, ist großartig.
  • Weil man in 20 Jahren immer noch froh ist, sie zu besitzen.

Warum nicht?

  • Wer einfach ein normales, günstiges Bike sucht, ist hier verkehrt.
  • Kleiner Tank mit hohem Verbrauch ist gemein.

Oder vielleicht …

  • Yamaha MT-01, XV 1900, Triumph Rocket III

Schade, …

  • … dass sie keine (abschaltbare) Antriebsschlupfregelung hat.
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(Bild: kmm)



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