Live in der Arena

Bilderbuch: Der Pop des 22. Jahrhunderts

Musik
19.05.2017 00:58

Der zweite von insgesamt drei ausverkauften Arena-Open-Air-Auftritten von Bilderbuch war der originale - die anderen später hinzugefügte Zusatztermine. Das zog am Donnerstagabend auf jeden Fall die treuesten und ersten Fans an, die sich ihre Karten schon ganz am Anfang sicherten und für eine bombastische Stimmung sorgten. Maurice Ernst und Co. ließen sich von der Begeisterung mitziehen und boten einen pompösen Gig, der Lust auf mehr macht.

(Bild: kmm)

Ein inbrünstiges "Gemma, Burschen" tönt aus den vorderen Reihen des Open-Air-Geländes in der Wiener Arena. Als ob die exaltierte Band auf der Bühne solch Sonderzuspruch nötig hätte. Als der bierselige Motivationsschrei für zwei Sekunden die Show übertönt, haben die oberösterreichischen Chartstürmer Bilderbuch nicht nur dem "Softdrink" gehuldigt und ein wertvolles "Investment 7" getätigt, sie haben ihre Dominanz längst mit all ihren Anhängern geteilt. Frontmann Maurice Ernst braucht sich nur mehr in Pose zu werfen, denn die Fans nehmen ihm die Bürde des Gesangs ab. Noch vor dreieinhalb Jahren spielte sich das Quartett im Wiener WUK die Finger wund, heute feiern sie das zweite von insgesamt drei restlos ausverkauften Arena-Open-Airs in Serie. Das sind hochgerechnet knapp 10.000 Menschen, die sich bei Frühsommertemperaturen in das Universum der Popmusik von Morgen beamen lassen.

Kriminell und illegal
Wenn Maurice vor dem Einsatz von "Erzähl deinen Mädels ich bin wieder in der Stadt" darum bittet, dieses Konzert so zu feiern, als ob man sich noch nie begegnet wäre und die Funken sprühen lassen soll, dann lässt man sich gerne an der Hand nehmen und in eine feingliedrige Klangwelt ziehen, der jegliche Form des Provinziellen fehlt. Bilderbuch sind hier für die großen Gesten, für "ein bisschen Candy" und einen ordentlichen "Spliff", denn "wir wollen auch einmal woanders aufwachen und nicht immer zuhause. Wir wollen manchmal etwas Kriminelles und Illegales machen", wie Maurice charmant betont, ohne das Spitzbübische hinter seiner hedonistischen Fassade zu verlieren. Das verbindet den Blondschopf mit der famosen Mavi Phoenix, deren abgefeierte Mischung aus kantigem Selbstvertrauen und elektronischem Alternative-Pop ideal ins Vorprogramm dieser Pop-Messe passt.

Nach dem Erfolg ihres neuen Albums "Magic Life" haben die Wahl-Wiener Bilderbuch jegliche Selbstzweifel über Bord geworfen und suhlen sich in Pomp und Trara. Während Maurice seine affektierten Posen im sexy Netzhemd und glänzend schwarzer Lackhose (den Kappa-Jogger streift er früh ab, um zum "Gigolo" zu mutieren) feilbietet und Gitarrist Michael Krammer mit Hipster-Dutt und überspannten Tanzeinlagen zum wahren Blickfang des Abends mutiert, strahlt eine ganze Armada an bunten Scheinwerfen durch dutzende vom Bühnenrücken hängende Sneakers. Bescheidenheit und Understatement haben bei einer derartigen "Superfunkypartytime" keinen Platz mehr. Doch die Musikgeschichte irrt nicht: Pop und Rock müssen bombastisch und aufgedonnert sein, um ihre wahre Wirkung entfalten zu können.

Extraportion Flair
Bilderbuch sind mittlerweile so groß, dass sie mit allen Schmähs und Finten durchkommen. Da reihen sich juvenile Alltagsthematiken ("Sneakers4free") an die Urlaubsflucht ("OM") und duelliert sich humoristische Religionskritik ("Babylon") mit den Tücken des Elitenlebens ("I <3 Stress"). In jeder noch so kleinen Alltagsbeobachtung verpacken die Musiker einen Schuss überbordenden Glanz, der sich geschickt vom redundanten Pop-Einerlei der internationalen Konkurrenz abhebt. Maurice changiert während des Konzerts zwischen dem Funk-Gestus von Prince, der überzogenen Präsenz eines geübten Las Vegas-Crooners und dem Kampf aus Elektronik vs. Rock. Aus alten Bilderbuch vs. neuen. Dazu hat er in den Jam-Passagen längst auch den Soul entdeckt und lässt sich von zwei stimmstarken Gospel-Backgroundsängerinnen unterstützen, die einer ohnehin schon schwer fassbaren Band noch eine Extraportion internationales Flair verschaffen.

Es kommt nicht von irgendwoher, dass Kaliber wie Kraftklub oder Herbert Grönemeyer mehr oder weniger laute Begeisterungshymnen auf den österreichischen Pop-Express abhalten. Wenn das Publikum laut singend Maurice an der Intrepretation der ersten "Maschin"-Strophe hindert, dann fährt selbst den kühlsten Analysten im Publikum die Gänsehaut aus den Unterarmen. Keiner, der sich von der charismatischen Truppe nicht sofort in ihren "Bungalow" entführen lassen würde, niemand, der sich einer spontanen "Sweetlove" entziehen könnte. Den zweiten Zugabenteil mit den alten Rocknummern "Joghurt auf der Bluse" und "Kopf ab" hätte es gar nicht mehr gebraucht. Nicht etwa weil die Songs minderwertig wären, sondern weil sich die schillernden Bilderbuch längst in zeitgemäßeren Soundsphären bewegen. "Willkommen im Dschungel", auf das er weiter wächst und erblüht!

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