Stadthalle live

Shawn Mendes: Der Retter der Musik im Pop

Musik
05.05.2017 01:10

Vor zwei Jahren gelang dem kanadischen Teenie-Star Shawn Mendes mit der Single "Stitches" der große Durchbruch - seitdem gehört er zu den größten Popstars dieser Erde. Im Zuge seiner "Illuminate Tour" kam er Donnerstagabend das erste Mal nach Österreich und bewies vor einer randvollen Wiener Stadthalle, das Formatradiopop nicht immer nur von Effekten und Autotunes leben muss.

(Bild: kmm)

Während die heimischen Musikstars und -sternchen im Wiener Volkstheater bei den Austrian Amadeus Music Awards um die begehrtesten Genrepreise zitterten, war knapp zweieinhalb Kilometer entfernt in der Stadthalle die wahre Weltklasse zu Gast. Der 18-jährige Kanadier Shawn Mendes lud zu seiner Österreich-Premiere und brachte die Kids schon weit im Vorfeld aus der Fassung. Bereits Anfang März war die vollbestuhlte Stadthalle mit 10.500 Besuchern restlos ausverkauft, um die immer wieder auftauchenden Restkarten herrschte ein G'riss, wie einst bei Justin Biebers großem Wien-Debüt. Die Parallelen zwischen den beiden Teenie-Magneten beschränken sich in erster Linie nur auf ihre Nationalität.

Der Stein rollt
Während Bieber mit Kiffexzessen, rasanten Sportwagenfahrten und Paparazzi-Schlägereien für regelmäßiges Rauschen im Blätterwald sorgt, ist Mendes noch ganz die Unschuld vom Lande. Mit zarten 13 Jahren lud er 2012 eine Coverversion von Adeles "Hometown Glory" auf YouTube und brachte damit einen Stein ins Rollen, der nie mehr gestoppt wurde. Via Internet ergatterte er 2015 seinen ersten Plattenvertrag, veröffentlichte das Debütalbum "Handwritten", das in Kanada und den USA sofort an die Spitze schnellte, und tourte mit Pop-Schwergewicht Taylor Swift durch Nordamerika. Eine Märchenkarriere ohne Ecken und Kanten, die einen so astreinen Verlauf nimmt, dass die Eltern ihren enthusiasmierten Kindern ohne Diskussion die Konzerttickets unter den Weihnachtsbaum legten.

Die Faszination des Shawn Mendes mag für die kreischenden Mädchenhorden an seinem makellosen Äußeren liegen, doch im Gegensatz zu vielen hochgejubelten Teenie-Talenten überzeugt der Vollblutmusiker aus Toronto mit einer eindringlichen Singstimme und der nötigen Bescheidenheit, die seinem ewigen Schatten Bieber bereits vor Urzeiten verlustig ging. So benötigt er auf seiner dem letzten Erfolgsalbum entlehnten "Illuminate Tour" auch keine ausladenden Effekthaschereien, leichtbekleidete Backgroundtänzerinnen und paralysierende Pyroeffekte, sondern nur eine opulente Videowall, eine kleine Zusatzbühne inmitten der Halle und eine von der Hallendecke hängende, bunt schimmernde Kugel, deren optische Anziehungskraft die Sinnhaftigkeit überbot.

Reifer als erwartet
Mendes fällt selbst in dieser spartanischen Architektur nicht sonderlich auf. In Jeans und T-Shirt, mit zerzausten Haaren und einer lässig vom Oberkörper baumelnden Gitarre ist er kein knallbunter Entertainer, sondern ein fragiler Geschichtenerzähler, der von Unsicherheiten, Teenie-Problemen und Liebesdramen referiert und dabei erwachsener wirkt, als man es ihm attestieren möchte. Schon als die Akkorde des zweiten Songs "The Weight" verklungen sind, hallt der erste "ich will ein Kind von ihm"-Schrei aus einem minderjährigen Mund. Mendes lässt sich weder von frontalen Liebesbekundungen, noch von ohrenbetäubenden Kreischattacken aus dem Konzept bringen - nach zwei Jahren auf Tour, 23 Gold- sowie 97 Platin-Auszeichnungen und der Gewissheit, von Kinderzimmerwänden in aller Welt zu erstrahlen, beherrscht er das nötige Understatement aus dem Effeff.

Musikalisch oszillieren seine Songs wie "Lights On", "Bad Reputation" oder "Patience" (nein, er hat nichts mit Guns N' Roses zu tun) zwischen balladesker Lagerfeuerromantik, bekömmlicher Formatradiohittauglichkeit und seltenen Ausritten in die Rockwelt, die man auch einem liebeskranken, Jung-Jon Bon Jovi zutrauen würde. Das ist naturgemäß wenig spannend und überraschend, aber von größtmöglicher Melodik durchzogen und in keiner Weise an den modernen Autotune-Pop-Trend anbiedernd. Man beginnt unweigerlich Mitleid zu empfinden ob der Tatsache, dass die kreischenden Fan-Horden offensichtlich stärker an Mendes' Person als an seiner Kunst interessiert sind. Dem Sänger ist das freilich egal, er fungiert als Pubertätssprachrohr auf Augenhöhe und lässt sich während der intimen vier Songs auf der kleinen Mittelbühne physisch auf die Getreuen herab.

Retter des Pop
Vom klassischen Teenie-Popstar ist Mendes weit entfernt, dafür ist seine Haltung zu schlaksig, sein Auftritt zu bieder und seine Songs zu gut. Mendes größte Stärke ist keine visuelle Pop-Flunkerei, sondern gekonntes Songwriting gepaart mit Authentizität und Stimmkraft. Dass die Bestuhlung umsonst war und seine großen Hits "Stitches", "Mercy" und "Treat You Better" auch locker vom Publikum alleine hätten getragen werden können, war zu erwarten. Dass sich ein 18-Jähriger aber ohne Pomp und Trara auf eine Bühne stellt, um sich ganz ohne Ironie mit einem Kaliber wie Ed Sheeran zu messen, schon weniger. Der Popzirkus setzt seinen Fokus langsam wieder auf die Musik selbst - und Mendes ist ein essenzieller Teil dieser Bewegung. Dafür kann man ihm nicht genug danken.

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