Schlepperprozess

Verharmlosen, Schweigen und amouröse Abenteuer

Österreich
22.06.2017 17:49

Sie verharmlosen, sie beschwichtigen, sie geben sich ahnungslos oder sie schweigen: Verantwortung übernimmt keiner der angeklagten Schlepper für den schrecklichen Tod der 71 Flüchtlinge. Im Gegenteil, der Bandenchef wartet einmal ab, was die anderen sagen, und sein mutmaßlicher Stellvertreter behauptet, in den entscheidenden Stunden geschlafen zu haben. Angesichts der Tragödie bleiben sie völlig ungerührt und eiskalt.

Zweiter Tag im spektakulären Prozess im ungarischen Kecskemet. Das Lachen ist aus dem Gesicht des Erstangeklagten gewichen. Samsooryamal Lahoo (30) tritt, wohl auf Rat des Verteidigers, mit Betroffenheitsmiene vor den Richter. Ebenso sein Stellvertreter in der Schlepperbande, Metodi G. (31).

Beiden ist anzumerken, dass ihnen die Haft in Ungarn zusetzt. Während in Österreich nur für die Vorführung in den Gerichtssaal Handschellen verwendet werden, sind die Fesseln hier mit Ketten an einem Bauchgurt befestigt, dazu kommen Fußfesseln, die nur ganz kleine hüpfende Schritte erlauben. Und selbst während der Verhandlung bleiben die Beschuldigten durch eine Kette mit ihren Bewachern verbunden.

Was der Richter dann vor allem vom Erstangeklagten zu hören bekommt, grenzt an eine Verhöhnung. Lahoo kündigt zwar ein Geständnis an. Aber nicht jetzt, nicht gleich wolle er es ablegen. Zuerst möchte er die Aussagen aller anderen Mitbeschuldigten hören.

Beim Thema Todesfahrt: "Dazu möchte ich nichts sagen"
Vorsitzender Lajos Jadi verliest dann Lahoos Aussagen vor der Polizei. Hier redet dieser zwar mit Hingabe über seinen florierenden Autohandel zwischen Ungarn und seiner afghanischen Heimat. Das Wort Flüchtling kommt dabei aber nie vor. Als die Beamten zum entscheidenden Punkt kommen, der Todesfahrt an jenem 26. August 2015, wird Samsooryamal Lahoo überhaupt ganz wortkarg. "Dazu möchte ich nichts sagen", lässt er Richter Lajos Jadi wissen.

Den Vorwurf, er habe in jener Nacht die ausdrückliche Weisung an den Fahrer gegeben, die Türe des Kühlwagens nicht zu öffnen und damit die Flüchtlinge hilflos ersticken zu lassen, schmettert Lahoo kaltschnäuzig ab: "Dazu erhebe ich Einspruch und gebe keine weitere Erklärung ab." Der Richter lässt es dabei bewenden - und den Zweitangeklagten vorführen. Auch Metodi G. (31) will "zu diesem Zeitpunkt nichts vor dem Richter sagen". Daher liest Jadi aus den knapp ein Dutzend Verhörprotokollen nach G.s Festnahme in Budapest vor, an der auch österreichische Kollegen beteiligt waren, da in Ungarn zunächst wegen Schlepperei gegen Lahoo und G. ermittelt worden war.

Amouröse Abenteuer statt Verantwortung
G. ist verheiratet, hat zwei Kinder, plaudert aber offen über seine Freundin und wo und wann er mit ihr in Ungarn im Bett war: "Das kann jeder wissen." Die Frau dient ihm immer wieder als Alibi. In den entscheidenden Punkten schwächt er ab, wo es nur geht: Beim Kauf des "Lkw mit den Hühnerköpfen" sei er nicht anwesend gewesen. Diesen habe sein Komplize in der Schlepperbande, Hassan Kasim S. (52), abgewickelt. Über die luftdichte Bauart sei er daher nicht informiert gewesen, will G. damit sagen.

Zwischendurch belastet er seinen einstigen Chef in der Schlepper-"Firma" aber durchaus. Nach einigen Wochen gemeinsamen Autohandels habe Lahoo ihn gefragt, ob er Fahrer in Bulgarien auftreiben könne: "Für Fahrten mit Menschen von der serbischen Grenze nach Deutschland." G. besorgte welche, und im Laufe der Zeit wurden 15 bis 20 Fahrzeuge für Schleppungen verwendet, sagt der Zweitangeklagte. Dann geht er ins Detail: "Die Fahrer waren damit unterwegs, bis sie gefasst wurden oder diese kauputt waren. In einigen Fällen wurden Migranten im Fahrzeug gelassen oder sie wurden aufgeteilt und flüchteten, wohin sie wollten."

"Konnte Fahrt nicht stoppen, wäre mein Todesurteil gewesen"
Damit will G. vermittlen: Es ist nie etwas schiefgegangen. Doch dann kommt sein Kernsatz: "Wir sitzen heute alle hier, weil Samsooryamal gierig geworden ist." Weil er offenbar nicht genug vom dreckigen Geld kriegen konnte.

Dabei habe er seinen Chef mehrmals davor gewarnt, den Volvo mit dem gekühlten Frachtraum für eine Schleppung von so vielen Leuten zu verwenden. Aus den Verhörprotokollen geht auch ein handfester Streit zwischen Lahoo und G. hervor, bei dem der Afghane klar stellte, dass alles "so passieren wird, wie ich es sage". "Was hätte ich tun sollen? Ich konnte die Fahrt nicht stoppen, denn dann hätte Samsoor (so nennt der Bulgare seinen Boss immer wieder, Anm.) 100.000 Euro verloren. Das wäre mein Todesurteil gewesen."

Über die entscheidende Nacht, als die Flüchtlinge starben, kann G. wieder nicht so genau Auskunft geben. Er will spätabends überraschend zu dem Transport abkommandiert worden sein. Beim Einsteigen der 71 Flüchtlinge habe er in der Nähe Ausschau nach Polizeipatrouillen gehalten und Übersetzungstätigkeiten zwischen Lahoo und den bulgarischen Fahrern geleistet, mehr nicht. "Ich hörte nur, dass der Fahrer zunächst sagte, es ist alles gut", beschreibt G. die damalige Lage. Dann meldete der Lenker, dass die Flüchtlinge klopften. Angeblich hat der Angeklagte damals nie an Sauerstoffmangel gedacht, eher an Durst. Er hörte bei den folgenden Telefonaten, dass geplant sei, die Flüchtlinge mit Wasser zu versorgen.

Dass dies nie geschah, dass die Türe nie geöffnet wurde, will er nicht mehr mitbekommen haben. Weil er, wieder einmal, mit seiner Freundin in ein Hotel ging.

"Von den Toten hörte ich erst aus dem Fernsehen"
Die dramatischen Stunden des Todeskampfs der Flüchtlinge hat G. also gar nicht mitbekommen, wie er sagt. "Erst am nächsten Tag, um elf Uhr, sah ich auf dem Handy zehn unbeantwortete Anrufe und eine SMS von Samsoor. Der Fahrer erzählte, dass er an der Grenze fast aufgeflogen ist, es mit der Angst zu tun bekam und deshalb den Lastwagen bald in der Parkbucht abgestellt hat. In den Wagen geschaut hat er nicht. Von den Toten hörte ich erst aus dem Fernsehen und war fassungslos. Ich bin kein Mörder!"

Nummer zwei bittet Schlepper-Chef in Brief um Hilfe
Ein besonders brisantes Beweisstück bringt die Staatsanwaltschaft am Ende des Verhandlungstages ins Spiel. Es handelt sich um einen Brief von G. an Schlepper-Chef Lahoo - damals schon beide in Haft. In diesem Schreiben bittet der Bulgare den Afghanen, seine Kontakte zu nützen, um ihm und seiner in finanzieller Not steckenden Familie zu helfen. "Meine Frau ist krank, wir haben Schulden und mein Haus ist weg. Du hast mich und all die anderen in diese Lage gebracht. Du musst uns helfen", heißt es in dem Schriftstück. G. spricht Lahoo mit "mein Bruder" an. Auf die vom Schlepper-Chef lancierten Gerüchte, er würde G.s Anwalt zahlen, reagiert der Bulgare wütend und schreibt: "Ich zahle meinen Anwalt."

Video: Richter verbietet Bandenboss Aussage

aus Kecskemet berichten für die Kronen Zeitung:
Peter Grotter, Gabor Agardi
Mitarbeit: Gabriela Gödel

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