Das große Interview

“Bemühe mich, keinen Sand ins Getriebe zu streuen”

Österreich
21.05.2017 07:16

Hofburg, der Amtssitz des Bundespräsidenten. Die gescheiterten Koalitionspartner SPÖ und ÖVP sowie die Oppositionschefs haben sich hier in den vergangenen Tagen die Klinke in die Hand gegeben. Alexander Van der Bellen musste sich in einer aufgeheizten politischen Stimmung erstmals als Krisenfeuerwehr bewähren. Im "Krone"-Interview spricht er über die turbulenten letzten Tage, die vorzeitige Nationalratswahl im Herbst und die FPÖ.

Kronen Zeitung: Herr Bundespräsident: Hand aufs Herz - hätten Sie der Regierung zugetraut, noch regulär bis Herbst 2018 zusammenzuarbeiten?
Alexander Van der Bellen: Ja. Weil ich Anfang des Jahres beim Beschluss des neuen Regierungsprogramms das Gefühl hatte, dass sich die Regierung wiedergefunden hat.

Schlimm, dass man sich nicht wiedergefunden hat?
Nein, ich empfinde die vorzeitige Neuwahl nicht als Drama.

Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner meint, nach seinem Rücktritt sei Österreich an den Rand einer Staatskrise geraten. Hat er recht?
Na ja - gut, dass er gesagt hat "am Rande". Es waren schon aufregende und arbeitsreiche Stunden, die wir da alle gemeinsam - Regierungsspitze, Opposition und ich - in den letzten Tagen verbracht haben.

Aber keine Staatskrise.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass eine Regierung auseinandergeht - viele Legislaturperioden sind vorzeitig zu Ende gegangen. Aber man muss schon aufpassen: So darf zum Beispiel die positive Wirtschaftsentwicklung der letzten Monate mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und guten Wachstumsdaten nicht durch irgendwelche leichtfertigen Maßnahmen konterkariert werden. Aber verglichen mit anderen Ländern wie etwa Italien ist Österreich doch ein sehr stabiles Land.

Sie haben in dieser Woche einiges zur Beruhigung tun müssen.
Ach, ich hatte naturgemäß viele Gespräche. Meine Aufgabe ist es, in solchen Turbulenzen für Stabilität zu sorgen, mich zu bemühen, die Emotionen nicht zu sehr hochgehen zu lassen - bei allem Verständnis für momentanen Ärger oder Frust. Dafür gibt es ja den Bundespräsidenten: Dass er an das Gesamtinteresse denkt und überparteilich versucht, die Lage zu beruhigen.

Was war Ihre Botschaft an die Regierung?
Ich habe mich bemüht, keinen Sand ins Getriebe zu streuen, sondern die begreifbaren und nachvollziehbaren Emotionen zu dämpfen.

Und das ist gelungen?
Ich glaube schon. Es bleiben immer Verletzungen übrig nach solchen Eruptionen der Politik. Es zeigen ja auch die Rücktritte von Mitterlehnerund Glawischnig, dass jeder seine persönlichen Schmerzgrenzen hat - das kann ich gut nachvollziehen.

Werden diese Schmerzgrenzen heute öfters überschritten?
Im persönlichen Umgang miteinander, im politischen Umgang im Parlament oder seitens der klassischen Medien nicht. Mit den neuen, sogenannten sozialen Medien allerdings schon - es ist jetzt viel leichter, Unkontrolliertes hinauszuschießen, ohne zu bedenken, was man damit auslöst.

Während des Wahlkampfs waren Sie auch Opfer von Angriffen in sozialen Medien. Hat sich das mit dem Einzug in die Hofburg geändert?
Ja, das hat sich schon gebessert.

Haben Sie eine höhere Schmerzgrenze?
Männer haben es sicher leichter als Frauen, weil sie kaum sexistischen Untergriffen ausgesetzt sind. Bei Frauen ist das gang und gäbe.

Zurück zur Neuwahl. Ist eine große Koalition der größte und beste gemeinsame Nenner?
Früher dachte man, dass man für große Lösungen wie Änderungen von Verfassungsbestimmungen eine große Koalition braucht. Die Praxis hat gezeigt: Das stimmt so nicht, oftmals kann man sich in einer Koalition nicht einigen. Große Koalitionen sind nicht zwingend ein Hort der Stabilität.

Kann eine von der FPÖ geführte Regierung Stabilität bieten?
Ich werde mich da jetzt nicht festlegen. Ich wünsche mir jedenfalls eine proeuropäische Regierung, die den Brexit-Schock verstanden hat und mit EU-Austrittsgedanken nicht spielt.

Also würden Sie Heinz-Christian Strache als Kanzler, Vizekanzler oder Minister angeloben?
Der Bundespräsident ist nicht allmächtig - man wird sich die Wahlprogramme genau anschauen müssen. Jedenfalls orte ich beispielsweise in der mir so wichtigen Pro-Europa-Frage eine schrittweise Änderung der FPÖ-Position.

Ist eine Minderheitsregierung eine Option?
Das ist höchstens eine Übergangslösung.

Sie sind seit 115 Tagen im Amt. Was waren die härtesten Momente?
Wenn du wegen der vielen Termine zum x-ten Mal unausgeschlafen ins Büro kommst und Gespräche führen musst, weil die Regierung an der Kippe steht.

Haben Sie sich da schon einmal gedacht: Warum nur habe ich mir das alles angetan?
Nein, so nicht. Aber man denkt sich zwischendurch mal: So kann das nicht weitergehen. Wenn ein Termin nach dem anderen kommt, auch am Wochenende, wenn du kein Privatleben mehr hast, wenn du nicht einmal mehr zwei Stunden wandern kannst.

Was tun Sie dagegen?
Wir dürfen uns einfach nicht zum Sklaven des Kalenders machen, sondern der Kalender ist unser Sklave.

Aber dieser Sommer wird wohl nicht so entspannend werden ...
Ach - ich muss Gott sei Dank ja nicht wahlkämpfen!

Der Präsident über ...

  • Norbert Hofer: Wir hatten ein angenehmes Gespräch nach den Wahlen.
  • Christian Kern: Ein hochintelligenter Mann, der auch wirtschaftspolitisch viel für Österreich herausholen will.
  • Sebastian Kurz: Ein offensichtlich hochbegabter Politiker. Aber viele meinen, dass er seine inhaltlichen Konzepte für Österreich nun bald ein bisserl mehr präzisieren sollte.
  • Kopftuch-Verbot:(lacht) Wichtig ist, was im Kopf ist.
  • Drei-Tages-Bart: Den habe ich schon länger. Ich habe meine Bärte im Laufe der Zeit verändert, aber meistens habe ich irgendwas gehabt.
  • Rauchverbot: Kann ich verstehen - aus Sicht der Nichtraucher.
  • "Chico" und "Kita": Meine lieben Mischlingshunde. Sie waren noch nicht in der Hofburg - aber das wird bald kommen.

Klaus Hermann und Oliver Pokorny, Kronen Zeitung

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