"Vollholler"-Sager

Flüchtlinge werden jetzt zentrales Wahlkampfthema

Österreich
17.06.2017 16:55

Vor allem die SPÖ war in den vergangenen Monaten intensiv bemüht, das Flüchtlingsthema abseits der Öffentlichkeit abzuhandeln. Aber jetzt ist das Problem mit voller Wucht im Wahlkampf angekommen. Auslöser ist die erneut entfachte Debatte um die Schließung der Flüchtlingsrouten über das Mittelmeer.

Bundeskanzler Christian Kern hatte am Donnerstag bei einer ausdrücklich als Hintergrundgespräch ausgewiesenen Einladung die zahlreichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Schließung der Flüchtlingsrouten auf dem Mittelmeer aufgezählt. Kern sagte, dass man dann auch so ehrlich sein müsse, der Bevölkerung zu sagen, welche Konsequenzen das habe. Vor allem in finanzieller Hinsicht einerseits, aber auch in politischer. Kern bezieht sich dabei auf die unübersichtliche Lage in den betreffenden Staaten wie etwa Libyen.

Neue Keimzellen des Terrors befürchtet
Die Ansprechpartner dort gelten, vorsichtig formuliert, als nicht eben zuverlässig. Zudem haben auch Staaten wie etwa Ägypten große Bedenken, Hunderttausende Flüchtlinge in Lagern zu versorgen. Die Bedenken, dass sich dann dort neue terroristische Keimzellen entwickeln, werden als außerordentlich ernst eingeschätzt.

Ankündigungen ohne konkrete Vorstellungen
In diesem Zusammenhang sagte Kern am Donnerstag bei einem vertraulichen Informationsgespräch, dass die Forderungen nach einer gänzlichen Schließung der Flüchtlingsroute ein "populistischer Vollholler" und Ankündigungen ohne konkrete Vorstellungen seien. Zitate und Inhalt des Gesprächs sind aber unmittelbar danach bereits publik geworden.

Die pointierte Aussage des Kanzlers ist als deutliche Kritik am ÖVP-Spitzenkandidaten, Außenminister Sebastian Kurz, verstanden worden. Der Wahlkampfstimmung entsprechend sind auch die Reaktionen aus der ÖVP zu verstehen. So sagte der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter, dass er die Haltung des Kanzlers gegen die Schließung der Mittelmeerroute nicht nachvollziehen könne.

"Sterben im Mittelmeer muss beendet werden"
Gegenüber der "Krone" findet Sebastian Kurz die Bezeichnung "populistischer Vollholler" unpassend; die Kosten für die Schließung der Mittelmeerroute würden unter den Kosten für die Unterbringung in Österreich liegen. Zudem müsse das "Sterben im Mittelmeer beendet werden".

Kommentar: Vom Glauben an Vertraulichkeit
Christian Kern hat einen ausgeprägten Hang zur gepflegten Ausdrucksweise. Heraus kommt dann oft ein Mittelding zwischen Arthur Schnitzler, einer modernen Manager-Sprache und ursprünglicher Simmeringer Saloppheit. Gerne sagte der Kanzler etwa "Pardon", "formidabel", "Touché" oder er nennt ein harmloses Handgemenge im Kanzleramt eine "richtige Eselei".

Am Donnerstag schaffte Kern sogar eine eigene Wortschöpfung. Der Bundeskanzler bezeichnete Teile der Flüchtlingspolitik seines Herausforderers von der ÖVP, Sebastian Kurz, als "populistischen Vollholler". Das ist eine Eigenkreation des früher in Wien gebräuchlichen "Hollers" als umgangssprachliche Alternative für Unsinn. Mit der originellen Steigerungsform "Vollholler" könnte Kern eine sprachliche Anleihe beim "Vollkoffer" genommen haben. "Koffer" ist eine Redewendung, mit der eine idiotische Person gemeint ist.

Problematisch an der Geschichte mit Kanzler Kerns "populistischem Vollholler" ist allerdings, dass dieser auf Kurz' Politik gemünzte Begriff nicht für die Öffentlichkeit gedacht gewesen sein sollte, sondern bei einem sogenannten Hintergrundgespräch mit Journalisten gefallen ist.

Solche Gespräche sind tückisch. Eine Erfahrung, die auch der frühere Bundeskanzler Wolfgang Schüssel machte. Der nannte im Glauben an die Vertraulichkeit bei einem Frühstück mit Journalisten in Amsterdam den deutschen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer eine "richtige Sau". Schüssel musste sich entschuldigen, die Entgleisung ging als "Amsterdamer Frühstücksaffäre" in die Geschichte ein.

Claus Pándi, Kronen Zeitung

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