Filzmaier-Analyse

Start-Ziel-Sieg von Kurz oder Aufholjagd von Kern?

Österreich
10.09.2017 08:08

In den Wahlprognosen liegt die ÖVP-Liste Kurz seit Monaten voran. Dem Wechsel an der Parteispitze von Reinhold Mitterlehner zum jungen Außenminister folgte ein konstanter Umfragevorsprung - oft sind es sogar mehr als fünf Prozentpunkte, was außerhalb der Schwankungsbreite als Ungenauigkeitsfaktor wäre. Ist die Wahl schon gelaufen? Nein.

1. Sebastian Kurz und seine ÖVP müssen auf einen Mitläufereffekt vertrauen. Dieser Begriff wurde im US-Präsidentschaftswahlkampf 1940 erfunden und besagt, dass Wähler dazu neigen, auf den Zug des vermeintlichen Siegers aufzuspringen. Es ist offenbar eine menschliche Eigenschaft, dass man auf der Seite der Gewinner und nicht der Verlierer stehen will.

Oft sind es etwa erfolgreiche Fußballvereine wie FC Barcelona oder Bayern München, die ständig neue Anhänger bekommen. Ob das beim Wahlverhalten ähnlich ist? Wissenschaftlich nachgewiesen ist es nicht.

2. Die Gegenthese dazu - und zugleich rot-blaue Hoffnung - ist ein Solidarisierungseffekt wie 2006 für die SPÖ nach dem ihr schadenden BAWAG-ÖGB-Skandal. Demzufolge würden viele Wähler dem womöglich Unterlegenen helfen. Nach heutigem Stand der Umfragen würde das bedeuten, dass Anhänger von SPÖ und FPÖ als "nur" auf dem zweiten oder dritten Platz liegend mehr das Gefühl haben, es komme auf die eigene Stimme ganz besonders an.

Speziell wer 2013 Team Stronach oder BZÖ bevorzugte und nun ÖVP wählt, könnte für seine neue Partei einerseits weniger motiviert und andererseits zu früh siegessicher sein. Solche Wählertypen mit dem Glauben, alles sei längst gelaufen, bleiben am ehesten am Ende doch zu Hause, statt ins Stimmlokal zu pilgern.

3. Kleinere Parteien müssen sich vor dem Fallbeil-Effekt fürchten. Derzeit gelingt laut Umfragen Grünen, NEOS und Liste Pilz genauso der Einzug ins Parlament. Und das ist zum politischen Überleben notwendig. Es darf kein Meinungsbild wie einst beim Liberalen Forum entstehen, eine Stimme für sie wäre sozusagen verlorene Liebesmüh.

Schafft es eine Partei laut öffentlicher Meinung sowieso nicht, beginnen ihre Fans zu grübeln, dass knapp daneben oder klar vorbei egal sei. Folgerichtig entscheiden sie sich als zweite Wahl für eine der größeren Parteien, um das Rennen an der Spitze zu beeinflussen.

4. Zu guter Letzt gibt es einen Medieneffekt, warum wir die Wahl als Kopf-an-Kopf-Rennen erleben möchten. Das liegt im Interesse aller. Der Führende, also Kurz, muss das vorzeitige Zurücklehnen seiner Partei verhindern. Wer etwas hinten liegt - momentan die Herren Kern und Strache -, will eine tatsächliche oder angebliche Aufholjagd inszenieren.

Fernsehen und Zeitungen, so ehrlich muss man sein, wünschen sich ebenfalls die größtmögliche Spannung. Bei bis zu einem Viertel unentschlossener Wähler ist diese zudem auch wirklich gegeben.

Peter Filzmaier, Kronen Zeitung

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