Rückenwind von OSZE

Anfechtung, Proteste: Erdogan-Gegner werden lauter

Ausland
17.04.2017 15:01

Nach dem denkbar knappen Sieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei seinem umstrittenen Verfassungsreferendum am Sonntag gibt sich die Opposition kämpferisch. Viele bezweifeln, dass es bei der Abstimmung mit rechten Dingen zugegangen ist, die größten Oppositionsparteien haben eine Anfechtung angekündigt. Am Montag wurde gar eine Annullierung gefordert. Auch die OSZE unterstützt die Kritik der Erdogan-Gegner. Noch in der Wahlnacht war es zu ersten größeren Protesten gegen Erdogan gekommen, in Izmir wurden mehrere Demonstranten verhaftet.

Das weit stärker als von vielen erwartet ausgefallene Ergebnis des "Nein"-Lagers, das laut offiziellen Zahlen beinahe 49 Prozent erreichte, lässt die Erdogan-Gegner selbstbewusster auftreten. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu etwa will einen Sieg des "Ja"-Lagers beim Referendum nicht hinnehmen. "Dieses Referendum hat eine Wahrheit ans Licht gebracht: Mindestens 50 Prozent dieses Volkes hat dazu 'Nein' gesagt", so der Chef der kemalistischen CHP am Sonntagabend.

Gemeinsam mit der prokurdischen HDP will Kilicdaroglus Partei nun das Ergebnis anfechten: Der Wahlgang sei von Erdogan "manipuliert" worden, sagen sie. Die HDP teilte am Sonntagabend auf Twitter mit, sie werde eine Neuauszählung von zwei Dritteln der Urnen verlangen. Es gebe Hinweise auf eine "Manipulation der Abstimmung in Höhe von drei bis vier Prozentpunkten".

Annullierung gefordert
Der Vizechef der CHP, Bülent Tezcan, warf der Hohen Wahlkommission vor, gegen die Regeln verstoßen zu haben, als sie nicht offiziell zugelassene Stimmzettel als gültig akzeptierte. Am Montag verlangte er als erster Spitzenpolitiker eine Annullierung des Referendums: "Es gibt nur eine Entscheidung, um im Rahmen des Gesetzes die Situation zu entspannen - die Hohe Wahlkommission sollte die Abstimmung annullieren", sagte er.

Zahlreiche Wähler hatten sich beschwert, dass ihnen Stimmzettel und Umschläge ohne den offiziellen Stempel ausgeteilt worden seien. Am Nachmittag erklärte die Wahlkommission aber, dass die entsprechenden Wahlzettel als gültig gewertet würden, solange nicht bewiesen sei, dass sie von außerhalb in die Wahlkabinen gebracht worden seien.

"Spielregeln dürfen nicht nach Spielbeginn geändert werden"
Tezcan rief die Wahlkommission auf, "umgehend diesen Fehler zu berichtigen" und Maßnahmen zu treffen, um den Ablauf der Abstimmung im Rahmen des Rechts zu garantieren. "Die Spielregeln dürfen nicht geändert werden nach dem Beginn des Spiels", sagte der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrikulu der Nachrichtenagentur AFP.

Rückenwind bekam die Protestbewegung am Montag von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE): Befürworter und Gegner hätten "nicht die gleichen Möglichkeiten gehabt", kritisierte Cezar Florin Preda von der Wahlbeobachtermission. Die späte Änderung der Abstimmungsregeln habe "gegen das Gesetz verstoßen" und "wichtige Schutzvorkehrungen beseitigt". "Der rechtliche Rahmen für die Abhaltung eines wahrhaft demokratischen Referendums bleibt unzureichend", so das Resümee der Experten.

Die Wahlbehörde wies am Montag alle Schuld von sich: Die kritisierten Stimmen seien gültig, sagte Amtschef Sadi Süven. Die kurzfristige Entscheidung, die nicht verifizierten Wahlzettel bei der Abstimmung zuzulassen, sei noch vor Eingang der Ergebnisse im System gefallen. Zudem habe die Regierung schon in früheren Fällen einen solchen Schritt erlaubt.

Opposition protestiert: "Schulter an Schulter gegen Faschismus"
Während Erdogan-Unterstützer nach Bekanntgabe der Ergebnisse den knappen Sieg des "Ja"-Lagers feierten, gab es erste Proteste von Gegnern des Präsidialsystems. In der Hauptstadt Ankara versammelten sich CHP-Anhänger vor dem Hauptquartier der Partei und riefen "Schulter an Schulter gegen den Faschismus", wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur am Sonntagabend berichtete. Demnach äußerten die Demonstranten auch ihren Unmut über Parteichef Kilicdaroglu: Dieser müsse die Opposition zu Demonstrationen aufrufen, so die Forderung. Kilicdaroglu hatte zwar erklärt, den Sieg des "Ja"-Lagers nicht zu akzeptieren, die CHP-Anhänger forderten jedoch ein klareres Zeichen des Widerstands.

Das regierungskritische Online-Medium sendika.org berichtete, auch vor der Wahlkommission in Ankara hätten sich Oppositionelle versammelt. Sie protestierten demnach vor allem gegen die Entscheidung der Wahlbehörde, nicht verifizierte Stimmzettel bei der Wahl zuzulassen. Die Polizei habe die Demonstranten auseinandergetrieben.

Demos in Istanbul und Izmir: Erinnerungen an Gezi-Aufstand
Auch in einigen Vierteln von Istanbul kam es zu Protesten. Anrainer schlugen dort und in der westtürkischen Stadt Izmir zum Ausdruck des Protests auf Töpfe und Pfannen. Diese Protestform hatte sich während der regierungskritischen Gezi-Proteste im Jahr 2013 etabliert. Medienberichten zufolge stimmten in den drei größten Städten der Türkei - Istanbul, Izmir und Ankara - mehr Menschen mit "Nein" als mit "Ja".

Für Montagabend riefen mehrere Oppositionsgruppen zu Großkundgebungen in den Istanbuler Stadtteilen Besiktas, Kadiköy und Sariyer auf. Die Gruppe "Hayir Besiktas" ("Nein Besiktas") schrieb etwa auf Twitter: "Wir sind hier gegen Betrügereien, Ungerechtigkeiten und gestohlene Stimmen!"

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