krone.tv-Reportage

Riesenschlangen vor Wiens Sozialhilfestellen

Österreich
12.03.2017 15:21

Die Situation bei Wiens Sozialhilfestellen ist alarmierend: Beinahe täglich bilden sich vor den Zentren Riesenschlangen von Menschen in schwierigen Lebenslagen, die um finanzielle Unterstützung ansuchen. Die Beamten sind teilweise mit der Situation überfordert. Bei einem Lokalaugenschein in Wien-Meidling konnte sich krone.tv davon ein Bild machen.

Die Servicestelle der Stadt Wien - zwölf derartige Einrichtungen gibt es insgesamt - zahlt Geld an Bedürftige und Menschen in schwierigen Lebenslagen aus.

Lokalaugenschein, Wilhelmstraße Nummer 64. Vor dem Sozialzentrum ist die Stimmung gedrückt. Die Menschen, die in der Schlange stehen, ziehen überwiegend lange Gesichter. Viele rauchen, um die Wartezeit zu überbrücken. In ihren Händen halten sie Plastikfolien mit Unterlagen.

Die Glastür zum Eingang öffnet sich etwa alle 30 Sekunden. Um 8 Uhr morgens geht es hier los, aber da kommen noch nicht so viele. Um 12 Uhr ist dann schon Mittagspause, und zwar bis 15.30 Uhr. Aber schon um 15 Uhr treffen dann die Ersten ein, schnell bildet sich jetzt eine lange Schlange. Hinter der Glastür: ein Security. Er zählt die Personen ab, die gleichzeitig hineindürfen - fast wie Nachtclub-Securities die Jugendlichen. Einer nach dem anderen kommt an die Reihe. Die meisten wollen vor dem Sozialzentrum nicht gesehen werden. Trotzdem fand krone.tv mit einigen von ihnen das Gespräch ...

Angelina-Marie, 19: Die junge Frau wohnt mit ihrer kleinen Tochter in einem Mutter-Kind-Heim und ist in Karenz. Vor drei Monaten hat sie einen Antrag auf Sozialgeld gestellt. Da die Frist nun verstrichen ist, muss sie einen neuen Antrag stellen. "Wieder neu anfangen", wie sie sagt. Wegen der Tochter kann sie nicht arbeiten. Sie ist alleinerziehend und wünscht sich eine Gemeindebauwohnung. "Das dauert aber noch zwei Jahre", wie sie uns erzählt. Angelinas Traum? Ihre Tochter in den Kindergarten bringen, eine Wohnung finden, dann kann sie arbeiten.

Anwa Burak begleitet seine Mutter, um für sie erneut einen Antrag auf Mindestsicherung zu stellen. "Manchmal fehlt was, manchmal brauchen sie eine Bestätigung." Das Pech seiner Mutter, die vor knapp drei Jahren nach Österreich gekommen ist: Sie hat noch nie in Österreich gearbeitet. Aber: "Mit 63 ist es schwierig zu arbeiten." Trotzdem brauche sie ein bisschen Geld.

Robert, 73: Er steht an, weil er für die Pensionsversicherung eine Kopie einholen muss, und raucht eine Zigarette. "Wenn keine Schlange da ist, bin ich in fünf Minuten fertig. Ich muss ja nimma arbeiten - eigentlich darf ich nicht mehr arbeiten, weil sonst nimmt mir das Finanzamt die Hälfte weg." Seine Pensionsbeitrag: "Nicht einmal 900, 850, 860 ich weiß es nicht genau, es geht automatisch aufs Konto." Knapp ist es trotzdem. "Es muss sich ausgehen, mehr als man hat, kann man nicht ausgeben. Wo nix ist, nimmt der Teufel mal was weg."

Robert erzählt, dass auch sein Sohn hier öfter was zu tun habe, er sei schon ein paar Jahre arbeitslos. "Er will sowas wie Buchhalter werden, er bewirbt sich jeden Tag bei mehreren Firmen und bis jetzt nix." Seinem Sohn fehle ein Führerschein: "Viele Firmen verlangen einen Führerschein und den mag er nicht machen, nicht um die Burg." Und das, "obwohl er schon mit fünf Jahren Auto gefahren ist am Parkplatz" - zumindest diese Erinnerung zaubert ein Lächeln auf Roberts Gesicht.

Ahmed (18) aus Somalia ist seit zwei Jahren in Österreich. Er steht für seine Mutter und für seinen Bruder an und hilft ihnen beim Übersetzten. "Ich suche seit zwei Monaten Arbeit, obwohl ich noch in die Schule geh. Meine Mama kann kein Deutsch", sagt er. Alle sind sie gemeinsam nach Österreich gekommen. Ahmed bleibt hoffnungsvoll, ihm geht es "ganz gut". Er möchte lernen und Mechaniker werden. Ob er schon eine Stelle gefunden hat? Leder nein. Die Anfänge waren schwer, aber "ich freu mich, in Österreich zu sein", sagt Ahmed. In Somalia sei seit 25 Jahren jeden Tag Krieg, dort habe er nicht schlafen können, nicht arbeiten, nicht in die Schule gehen. Ob er Somalia vermisst? "Nein." Er wiederholt sich: "Nein!" Dabei kommen ihm fast die Tränen.

Matthias Reisinger, 25: Der Wiener ist wegen Kursmaßnahmen und Sonderzahlungen hier. Seit einem Jahr ist er auf Jobsuche. "Das ist mein sechster Anlauf in einem Monat." Er versucht, positiv zu denken. Vor einem Jahr musste Matthias Kursbeiträge für drei Monate nachzahlen, als er eine Arbeit gefunden hatte: "So gleich nach drei Monaten wenn du einen Job hast der Inkasso-Brief, du musst zurückzahlen." Das sei ihm passiert, als er begonnen habe, bei der Volkshilfe zu arbeiten. "Wenn's um Minusgeld geht, sind sie sehr schnell."

Ahmad ist seit fast eineinhalb Jahren in Österreich. Den A1-Deutschkurs hat er bereits bestanden. Jetzt visiert er die Niveaustufe A2 an. Er übt sich in Geduld: "Zuerst muss man lernen, danach eine Arbeit suchen, weiter arbeiten und nicht zu Hause bleiben, weil das ist nicht gut", sagt er. Ahmad weiß, um einen Arbeitsplatz zu finden, müssen eine Ausbildung und Qualifikationen her. "Ich muss eine Ausbildung machen, vielleicht Automechaniker." Sanft sagt er: "Vielen Dank und danke für Österreich."

Elizabeth Etmann, Sozialarbeiterin in Pension: Sie steht Schlange für eine Klientin. Zur Mindestsicherung will sie klarstellen: "Der wirkliche Skandal besteht darin, wie lange die Menschen warten müssen. Speziell bei der Erstbearbeitung ihres Antrags." Die meisten Anträge seien sogenannte Aufstocker, darunter ganz viele Frauen mit Kindern. Sie fordert mehr Personal "und dass die Wartezeit auf das erste Geld verkürzt wird".

Um 17 Uhr löst sich die Schlange vor dem Sozialzentrum langsam auf. Sie gehen alle wieder ihre Wege, morgen früh geht's für die Beamten dann aufs Neue los ...

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele